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Unbemannte Drohnen sind zu einer oft genutzten Kriegswaffe geworden - insbesondere auf Seiten der USA.

© dpa

Drohnenangriffe: Der Krieg der Joysticks

Mit Drohnen und Viren hat eine neue Ära der Kriegsführung begonnen: Vier Bedingungen müssen erfüllt sein, damit der Krieg der Zukunft weiterhin dem Völkerrecht entspricht.

Von Anna Sauerbrey

Die Kämpfer nennen sie „Wespen“. In den Stammesgebieten an der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan soll das Summen der fliegenden Kampfroboter oft mehrmals täglich zu hören sein. Haben sie ihre Beute entdeckt, kreisen sie manchmal stundenlang über ihr, bevor sie zuschlagen. So geben sie ihren Herren an den Schaltpulten in den USA Gelegenheit, das „Ziel“ genau zu betrachten. Zeit, zu entscheiden, ob es sich lohnt, zuzustechen.

Auch der 16-jährige Tariq Aziz kannte dieses Geräusch gut. Das sagt ein Reporter der amerikanischen Menschenrechtsorganisation „The Reprieve“, der den jungen Mann aus der pakistanischen Provinz Wasiristan im Herbst 2011 am Rande einer Ältestenversammlung in Islamabad traf. Wenige Tage später erfuhr der Reporter, dass Tariq Aziz nach seiner Rückkehr in die Heimat auf dem Weg zu einer Tante durch eine Drohne getötet worden war, gemeinsam mit seinem 12-jährigen Cousin. Der Reporter, Clive Stafford Smith, hält es für wenig wahrscheinlich, dass der 16-Jährige ein Kämpfer war. Unschuldige Opfer seien keine Seltenheit. Pakistanische Quellen meinen sogar, allein im Jahr 2009 seien 700 Zivilisten bei Drohnenangriffen getötet worden.

Der Cyberkrieg im Internet

Man kann die Geschichte des amerikanischen Drohnenkrieges aber auch so erzählen: Im Jahr 2000 attackierten Selbstmordattentäter das US- Kriegsschiff USS Cole, das im Hafen von Aden im Jemen gerade betankt wurde. Dabei sterben 17 amerikanische Soldaten, 39 werden verletzt. Al Qaida übernimmt die Verantwortung für das Attentat. Die Ermittlungen erweisen sich als schwierig. Der Jemen, ein schwacher Staat, ist ein wichtiges Rückzugsgebiet für Al Qaida. Seit dem Angriff auf die USS Cole hat sich die Lage sogar verschlechtert. Die Terrororganisation hat auf der arabischen Halbinsel einen eigenen Ableger gegründet, viele bekannte Prediger verbreiten vom Jemen aus ihre Propaganda. Zwar wurden einige Köpfe der Terrororganisation verhaftet, die mit dem Angriff in Verbindung stehen sollen, konnten aber aus dem Gefängnis wieder fliehen. Auch Fahd al Kuso, der als einer der Drahtzieher des Attentats gilt und seit 2010 vom amerikanischen Außenministerium als einer der meistgesuchten Al-Qaida-Führer geführt wurde, konnte zwei Mal entkommen und weiter in dem Land wirken. Anfang Mai hat nun eine Drohne den 37-Jährigen getötet. Mit ihm starben zwei Leibwächter. Die US-Regierung sagt, im Jahr 2009 seien gerade einmal 30 Unbeteiligte bei Drohnenangriffen ums Leben gekommen.

Die internationale Gemeinschaft steht an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter der Kriegsführung. Selten wurde das so deutlich wie in den vergangenen Wochen. Während die USA weitere erfolgreiche Drohnenangriffe meldeten – auch die Nummer zwei von Al Qaida in Afghanistan, Abu Jahia al Libi, wurde getötet – häuften sich Nachrichten zu hochentwickelten Viren: Präsident Obama selbst soll die Entwicklung des Computervirus Stuxnet in Auftrag gegeben haben; die Anti-Viren-Spezialisten von Kaspersky-Lab entdeckten ein neues Spionagevirus; die Bundeswehr hat den Aufbau ihrer eigenen „Hackerabteilung“ beendet. Überall auf der Welt wird Software als Waffe oder Aufklärungsinstrument weiterentwickelt, auch die Roboterschmieden arbeiten unter Hochdruck. Schon heute herrscht Barack Obama als oberster Befehlshaber der USA über ein stehendes Heer von 19 000 Drohnen und 12 000 Laufrobotern, die etwa als Späher oder zum Entschärfen von Minen eingesetzt werden. Der Soldat der Zukunft, so scheint es, besteht aus Kabeln und Chips – oder gleich nur noch aus ein paar Zeilen Code.

Der amerikanische Drohnenkrieg hat zwei Gesichter

Die zwei Gesichter des amerikanischen Drohnenkrieges stehen für die Hoffnungen und für die Befürchtungen, die mit dieser Entwicklung verbunden sind. Optimisten glauben, dass der Krieg der Zukunft humaner ist. Militärs und Waffenhersteller beschwören gern das Bild der Präzisionschirurgie. Das große Gemetzel mit Messer und Knochenschere am Patienten namens Internationale Beziehungen sei nicht mehr nötig. Dank innovativer Aufklärungs- und Kampftechnik könnten die Kriegshandwerker heute minimalinvasiv arbeiten: Statt wie noch 2001 in Afghanistan einzumarschieren, arbeitet man heute mit „gezielten Tötungen“ durch unbemannte Hightech-Flugroboter. Seit Beginn des Krieges im Jahr 2001 sind in Afghanistan über 3000 Isaf-Soldaten ums Leben gekommen. Die UN zählen allein 2011 über 3000 zivile Opfer. Selbst wenn die genaue Zahl der unbeteiligten Drohnenopfer schwer unabhängig zu ermitteln ist, scheint der Drohnenkrieg weniger Opfer zu fordern als ein konventioneller Einsatz. Der Techno-Krieg kann Kampfeinsätze überflüssig machen. Indem, wie im Jemen, statt einer völkerrechtlich problematischen Invasion Terroristen per Drohne ausgeschaltet werden. Oder indem wie im Iran mithilfe des Sabotage-Virus Stuxnet das iranische Atomforschungsprogramm um Jahre zurückgeworfen wird.

Gegner des Drohnen- und Technokrieges wenden ein, das gezielte Töten laufe den Prinzipien des liberalen demokratischen Staates zuwider. Sie fragen, ob es sich bei den Drohneneinsätzen überhaupt um einen „Krieg“ handelt und wenn nicht, was das staatliche Töten ohne Gerichtsurteil legitimiert. Sie zweifeln an der Geschichte von der Effizienz des Techno-Krieges und verweisen darauf, dass der Drohnenkrieg keineswegs dazu geführt hat, dass die Zahl der Anschläge in Afghanistan abgenommen hat, im Gegenteil. Unter Obama haben sich die Angriffe vervielfacht, die Zahl der Toten auch. Auch Computerviren könnten, so wenden sie ein, viele zivile Opfer kosten, wenn sie gegen wichtige Infrastrukturen gerichtet werden, während eine Rüstungskontrolle für Programmiercode praktisch unmöglich ist.

Welche der beiden Visionen die Zukunft des Krieges bestimmen wird, kann politisch gelenkt werden. Der Techno-Krieg, wie er sich momentan entwickelt, birgt verschiedene große Gefahren für die westlichen Demokratien, auf die sie rechtzeitig reagieren sollten.

Erstens muss der Gewaltbegriff des Völkerrechts weiter gefasst werden. Zu den großen Errungenschaften der Nachkriegszeit zählt das allgemeine Gewaltverbot des Artikels 2, Ziffer 4 der Charta der Vereinten Nationen. Es wurde geboren nach dem Zweiten Weltkrieg, aus der Erkenntnis, dass ein Verbot des Krieges allein nicht ausreicht, um den Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten. Nun ist eine erneute Anpassung notwendig.

Bislang fanden zwei große Cyberangriffe auf Staaten statt: Im Jahr 2007 wurden in Estland durch „Distributed Denial of Service-Attacken“ (DDoS-Attacken) – massenhafte, automatisierte Serveranfragen, die zu Überlastungen führen – die Webseiten von Regierungsinstitutionen, einer großen Bank und von Krankenhäusern lahmgelegt. Ähnlich war es bei Angriffen 2008 auf Georgien. Das Völkerrecht sieht einen besonderen Schutz für Infrastrukturen vor, die vor allem für die Versorgung der Zivilgesellschaft nötig sind. In der Informationsgesellschaft muss das Internet dazuzählen. Operationen, bei denen DDos-Attacken oder Software zum Einsatz kommen, die auf zivile Infrastrukturen zielen, sollten als militärische Angriffe und als Gewalt im Sinne des Völkerrechts gewertet werden. Das gäbe den UN die Möglichkeit solche Angriffe zu verurteilen. Zwar ist es schwierig bis unmöglich, die Verursacher zurückzuverfolgen. Denkbar wäre aber, dass die UN die Attacken untersuchen lassen und zumindest die Ergebnisse veröffentlichen.

Damit ist schon das zweite Problem berührt, das die Technisierung des Krieges mit sich bringt: Dem Techno-Krieg fehlt der Autor, nicht nur im Fall von Cyberattacken. Auch bei Drohnenangriffen ist der Abstraktionsgrad zwischen dem Befehlsgeber – demjenigen, der am Joystick sitzt – und dem Ziel der Attacke sehr hoch. Der Fortschritt der Technik wird es ermöglichen, das Töten weiter zu automatisieren. Bisher sind Computer zwar nur sehr bedingt in der Lage, Bilder so zu analysieren, dass man sagen könnte, sie erkennten, ob darauf ein Kämpfer oder ein Zivilist zu sehen ist. An semantischen Such- und Analyseverfahren wird allerdings intensiv geforscht.

Das Völkerrecht steht dazu in krassem Widerspruch. Es basiert auf der Vorstellung von bewusstem menschlichen Handeln. Erst Verantwortung ermöglicht die moralische Bewertung und die Strafbarkeit von Taten. Daraus folgt, egal wie ausgefeilt die Technik einmal wird: Die Entscheidung über das Töten muss ein Mensch treffen. Eine Vollautomatisierung des Krieges darf es nicht geben.

Der Cyberkrieg wird in großen Teilen von den Geheimdiensten kontrolliert

Auch die innerstaatlichen Entscheidungsprozesse werden durch die Technisierung des Krieges intransparenter. Das ist das dritte Problem. Der Krieg gegen den Terror hat in den USA zu einer sehr engen Verzahnung von Geheimdienst und Militär geführt. Da es beim Einsatz von Drohnen und Viren vor allem auf die Informationen der Nachrichtendienste ankommt, darauf, wer welche Rolle in einem Terrornetzwerk spielt und wann er wo aufzuspüren ist, hat die CIA die Kontrolle über die Drohnenangriffe übernommen. Die Folge ist etwa, dass nur schwer nachzuvollziehen ist, wie die Todeslisten zustande kommen. Eine unabhängige Überprüfung, etwa durch Gerichte, findet nicht statt. Im Techno-Krieg ersetzen Spione die Soldaten: Der Krieg wird bürokratisiert.

In dieser Woche ist das Enthüllungsbuch „Kill or Capture“ erschienen, in dem Daniel Klaidman detailliert die Beteiligung des amerikanischen Präsidenten an der Auswahl von Drohnenzielen darlegt. In den USA wird bereits darüber spekuliert, inwieweit die Obama-Regierung diese Informationen gezielt gestreut hat. Klaidman zufolge treffen sich einmal in der Woche rund 100 Personen aus dem Sicherheitsapparat zu einer Art „Todeskomitee“. In einer Videokonferenz beraten sie darüber, welche Personen auf die Todesliste gesetzt werden, die dann dem Präsidenten persönlich vorgelegt wird. Das reicht jedoch nicht: Um Transparenz herzustellen, müssen auch Institutionen außerhalb der Geheimdienste und des engsten Umfelds der Entscheidungsträger beteiligt sein, etwa Richter oder gewählte Repräsentanten.

Auch der Cyberkrieg wird in großen Teilen von den Geheimdiensten kontrolliert. Die bekannten Viren Stuxnet und Flame arbeiten mit klassischen geheimdienstlichen Methoden, sie spionieren und sabotieren. Da sie aber wie und an Stelle von Waffen eingesetzt werden, müssen auch sie einer stärkeren parlamentarischen Kontrolle unterworfen werden. Das Kriegführen darf durch die Vergeheimdienstung nicht allein zur Sache der Regierenden werden und der wenigen, die an der Kontrolle der Geheimdienste mitwirken.

Noch aus einem anderen, vierten Grund ist es wichtig, dass die Parlamente auch in der Ära des Techno-Krieges die Entscheidung über militärische oder quasi-militärische Auseinandersetzungen in der Hand behalten. Es ist absehbar, dass die Gesellschaft zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen, in denen keine Soldaten aus ihrer Mitte mehr sterben, gleichgültiger gegenübersteht. Innenpolitisch sinken so die „Kosten“ des Krieges. Die These vom demokratischen Frieden besagt aber, dass Demokratien gerade wegen dieser Kosten selten bis nie Angriffskriege führen. Ohne politische Debatte könnten Entscheidungen für ein militärisches Eingreifen leichtfertiger gefällt werden. Deshalb sollte selbst Operationen mit voraussichtlich geringen Opferzahlen eine Gewissensabwägung der gewählten Abgeordneten voranstehen. Die Entscheidung für oder gegen einen Krieg muss eine politische bleiben.

Das Völkerrecht soll ein Mindestmaß an Humanität auch im Krieg gewährleisten. Schon der amerikanische Krieg gegen den Terror, der losgelöst ist von Staaten und ihren geografischen Grenzen, ist mit den bisherigen Begrifflichkeiten nur noch schwer zu fassen. Der Krieg der Joysticks, der ja auch aus den zunehmend asymmetrischen Auseinandersetzungen folgt, ist ein weiterer Schritt, die internationale Gewalt dem Recht und seinem Humanitätsanspruch zu entziehen und sie in die undurchsichtige Welt der Geheimdienste zu verlagern. Da dennoch auch weiterhin Zivilisten von den Auseinandersetzungen betroffen sein werden, dürfen die Kontrollinstitutionen der westlichen Demokratien ihre Hoheit über den Krieg nicht aus der Hand geben. Auch der Techno-Krieg ist ungeheuerlich.

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