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Meinung: „Eher früher als später“

Als Präsident Jimmy Carter 1976 Zbigniew Brzezinski zu seinem Sicherheitsberater machte, sah die Welt noch so aus: „Ich hatte drei Minuten, um sicherzustellen, dass wir wirklich angegriffen werden. Vier weitere Minuten, um den Präsidenten zu informieren und mit ihm eine Entscheidung zu fällen.

Als Präsident Jimmy Carter 1976 Zbigniew Brzezinski zu seinem Sicherheitsberater machte, sah die Welt noch so aus: „Ich hatte drei Minuten, um sicherzustellen, dass wir wirklich angegriffen werden. Vier weitere Minuten, um den Präsidenten zu informieren und mit ihm eine Entscheidung zu fällen. In der siebten Minute wurde das System aktiviert, nach zwölf Minuten lief die Reaktion. Und kurz darauf wären 140 Millionen Menschen tot.“

Brzezinski löffelt das Rhabarbersorbet und blickt mit kleinen blauen Falkenaugen über den Wannsee. Am Tag zuvor hatte er in Berlin seinen 78. Geburtstag gefeiert. Um eine pragmatische Lösung für das Irakproblem zu präsentieren, braucht er bei dem Mittagessen in der American Academy keine drei Minuten: Die Iraker dazu bringen, dass sie unseren Abzug fordern und dann abziehen. „Eher früher als später.“

Brzezinski ist seit vielen Jahrzehnten die Antwort der Demokratischen Partei auf Henry Kissinger. 1928 in Polen geboren, mit zehn Jahren nach Kanada gekommen, Promotion an der Harvard University über die Oktoberrevolution, als Akademiker und Einwanderer, wie Kissinger doppelter Außenseiter, mit schließlich ähnlich großem Einfluss auf die amerikanische Außenpolitik.

Die USA befänden sich in einem Lähmungszustand, sagt Brzezinski, was ihre außenpolitische Strategie betreffe. Von den Demokraten kämen derzeit keine Vorschläge, und das zerstrittene Europa sei auch keine Hilfe. „Eine europäische außenpolitische Perspektive gibt es nicht.“ Bush betreibe derweil eine Politik der Angst, und er habe es satt, jeden Morgen von irgendeinem angeblichen Terrorexperten im Radio in Panik versetzt werden. Was George W. Bush gerade im Irak betreibt, nennt Brzezinski herablassend „democracy business“, von dem er selbst nicht viel halte. Ein viel produktiveres Instrument seien doch die Menschenrechte.

Das Ende des Kalten Krieges, in dem er sich noch aktiv für die Demokratisierung Osteuropas eingesetzt hatte (und angeblich nachts den Papst vor einem Einmarsch der Russen in Polen warnte), hat ihm offenbar den letzten Rest an Ideologie ausgetrieben. Ein außenpolitischer Realist wie Brzezinski befürwortet, was er nicht verhindern kann. Und dann ist die Welt ein strategisches Spielfeld: Russland als Mitglied der EU? In 20, 30 Jahren. China? Warum nicht?

Nichts tun, was die Optionen verringert, ist Brzezinskis Rat auch zum Umgang mit der Hamas. Es ist die Maxime eines jeden realistischen Außenpolitikers. Vielleicht ist ihm Bush auch deshalb so zuwider, weil der das Gegenteil tut. Und das hält Brzezinski nicht nur für politisch falsch, sondern vermutlich auch intellektuell für weniger reizvoll.

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