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Meinung: Eiliger Zorn

Die Koalition muss jetzt dringend groß werden – sonst gibt’s noch mehr Ärger

Zorn soll einen Journalisten antreiben, Zorn wie bei Luther. Zorn über Ungerechtigkeit, über den Bruch aller Wahlversprechen. So hieß es jetzt in einer Predigt von „Bild“-Chef Kai Diekmann. Ins Gewissen redet er damit allerdings doch wohl eher der Politik. Denn für sie gilt die Analyse: Die Koalition, die die große genannt wird, muss sich diesen Namen dringend verdienen, weil sie sonst kommen, Tage des Zorns – bei den Wählern.

Ihnen vorausgehen sollten aber schon mal die Tage des Widerspruchs. Der erste Fall: Kongo. Die FDP hat im Bundestag viele gute Argumente vorgetragen, warum der Einsatz von 780 Bundeswehrsoldaten in einem Land, das so groß ist wie Westeuropa, offenkundig weder gut geplant noch ausreichend ausgestattet stattfindet. Sage nachher niemand, er (oder sie) hätte es nicht gewusst. Wäre der Kosovo mit seiner Sicherheitsstruktur das Vorbild, müssten es rund 8,5 Millionen Soldaten sein. Was passiert, wenn etwas passiert? Zieht Deutschland dann einfach ab und lässt das Land im Chaos zurück? Das geht dann nicht. Und wenn nicht, dann war alles, was bis dahin von der Regierung gesagt worden ist, unwahr. Das geht auch nicht.

Der zweite Fall: die Finanzen. Alle wissen es, die Opposition sagt es ständig, die Regierung schweigt es tot – was an Konzepten vorliegt, um den Staatsfinanzen aufzuhelfen, reicht nicht aus. Bei weitem nicht. Da ist sogar schon konsumiert, dass die deutschen Staatsdiener durch Kürzungen eine Milliarde Euro zum so genannten Sparkurs beitragen. Das alles, weil die Regierung sich nicht entscheiden kann: entweder für „Post-Keynes“ mit umfassender Nachfragestimulierung und öffentlichen Investitionen, oder für Neoklassik mit wirklichem Sparen. Bisher war Sparen „weniger vom Mehr“.

Der dritte Fall: die Gesundheit. Jetzt soll tatsächlich ein Modell vereinbart werden, von dem die Experten sagen, dahinter stehe nur der Versuch, es wieder allen irgendwie recht zu machen. Will sagen, dass es nicht funktionieren kann, weil zwei Modelle wie Bürgerversicherung und Gesundheitsprämie nicht zusammenpassen. Es braucht stattdessen ein Modell nach dem Muster: Alle für alle, und von Stärkeren mehr als von Schwächeren. Oder soll das Solidarische am Ende nichts mehr wert sein, ein Bismarck Sozialromantiker?

Der vierte Fall: die Arbeitslosigkeit. Seit Jahrzehnten wird wohlfeil beteuert, wie schrecklich das Schicksal der Menschen ohne Job sei. Dass sich der Mensch (auch) verwirklicht durch Arbeit, hat Jesuitenpater Oswald von Nell-Breuning schon gepredigt. Führende Sozialdemokraten sprechen seit ewigen Zeiten warnend vom „Krebsübel“ Arbeitslosigkeit. Nur, wenn das alles so ist, reichen Veränderungen an einigen Stellschrauben nicht aus. Um mit einem anderen Physiker in der Politik als Angela Merkel zu reden: Wenn etwas 15 Jahre nicht funktioniert hat, wie damals bei Helmut Kohl, wer gibt die Gewähr, dass es im 16. funktioniert? Oder wenn etwas fünf Jahre nicht funktioniert hat, wie bei Gerhard Schröder, wer kann sagen, dass es im sechsten funktioniert?

Nötig ist eine Jobrevolution. Gesucht wird ein deutscher Robert Reich, der wie weiland in Amerika unter Bill Clinton das „Jobwunder“ schafft. Das wäre des Schweißes der Edlen wert. Jetzt. Ist doch wahr. Und das kann einen aufregen.

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