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Meinung: Ein bisschen neben dem Takt

Präsident Bushs Rede an die Nation fehlte die Programmatik – sie wird verhallen

Bis ins Detail war alles raffiniert geplant: Am Montag hatten die Demokraten im US-Bundesstaat Iowa ihre erste Vorwahl. Jeder rechnete damit, dass Howard Dean gewinnt, der hitzköpfige Doktor aus Vermont, ein Irakkriegs-Gegner. Auch im Weißen Haus glaubte man an Deans unaufhaltsamen Aufstieg, als man sich für den Dienstag als jenen Tag entschied, an dem der Präsident vor beiden Häusern des Kongresses seine alljährliche Rede zur Lage hält. Die Strategen spekulierten auf den Kontrast. Hier der Heißsporn, dort der Staatsmann. Es sollte eine Abrechnungsrede mit dem linken Flügel der Opposition werden. Mit jenen, die sich über den Sturz eines Tyrannen nicht freuen wollen.

Doch dann geschah ein Wunder. Für Dean votierten nur 18 Prozent, mehr als drei Viertel der Demokraten in Iowa entschieden sich für Kandidaten, die im Kongress für den Krieg gestimmt hatten. Am Ende gewann John Kerry, der hochdekorierte Vietnamkriegs-Veteran. Das ließ viele Passagen von Bushs Rede resonanzlos verhallen. Manchmal fragte man sich: Ich höre die Worte, aber wer ist gemeint? Plötzlich gab es diesen unsichtbaren Gegenpart nicht mehr, der durch seinen geharnischten Griesgram die positive Ausstrahlung des Präsidenten betonen sollte. Dieser Rede war die Stoßrichtung abhanden gekommen.

Was blieb, war eine durchschnittlich gute Rede, die schlicht den Auftakt der Wiederwahlkampagne von Bush markiert. Das Ablesen vom Teleprompter beherrscht er inzwischen meisterhaft. Die Auswahl der Ehrengäste war gelungen. Wieder fehlte nicht die theologische Überhöhung seiner Politik. „Die Sache, der wir dienen, ist die Sache der gesamten Menschheit.“ Oder: „Wir können jener höheren Macht vertrauen, die die Entwicklung der Jahre lenkt.“ Oder: „Bei allem, was kommt, können wir wissen, dass Seine Absichten gerecht und wahr sind.“ In wohl dosierten Portionen vorgetragen, ergreifen solche Sätze die Herzen vieler Amerikaner.

Bushs vorrangiges Anliegen jedoch war, sich selbst als Einzigen darzustellen, der der Nation in schwierigen Zeiten Richtung und Halt gibt. In dieser Rhetorik liegt ein Stück Perfidie. Gerade weil die Terroristen Amerika immer noch bedrohen und die Lage im Irak instabil ist – mindestens zehnmal spricht Bush von „Krieg“ –, wäre es gefährlich, die Regierung zu wechseln. Etwas böse übersetzt heißt die Botschaft: Ich habe zwar in Afghanistan den Kampf gegen Osama bin Laden und Al Qaida vorzeitig beendet, um in einen fragwürdigen Krieg gegen Saddam Hussein zu ziehen, der weder Verbindungen zu Al Qaida hatte noch Massenvernichtungswaffen, aber der Schlamassel, in dem wir dadurch nun stecken, ist so groß, dass ein Regierungswechsel unverantwortlich wäre. Bush freilich drückt das anders aus: „Wir sind nicht den ganzen Weg gegangen – durch Tragödie, Prüfung und Krieg –, nur um jetzt zu schwanken und das Werk unvollendet zu lassen.“

Wir müssen Kurs halten, unbedingt; die Probleme, in denen wir stecken – Bush erwähnt sie so nicht: das historische Haushaltsdefizit, die 2,5 Millionen abgebauten Arbeitsplätze, das tägliche Sterben im Irak –, sind vorübergehend: Einen Abend hatte der Präsident, um diese Botschaft zu verbreiten. Die Nation hörte ihm traditionell respektvoll zu. Alle großen TV-Sender übertrugen live. Aber nachhaltig dürfte das Interesse kaum sein. Dazu war die Rede zu wenig spektakulär. Außerdem fehlte ihr die Programmatik. Spätestens ab morgen spielt die Musik woanders. Im bitterkalten Bundesstaat New Hampshire zum Beispiel, wo in der kommenden Woche die Vorwahl der Demokraten weitergeht. In dem Stoff steckt weit mehr Dynamik als in dem Weiter-so des Amtsinhabers.

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