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Meinung: Ein Cowboyin Berlin

Von Jacob Heilbrunn Welch bittere Ironie. Nach dem Kalten Krieg haben die USA Deutschland beschworen: Schluss mit der Ausrede, der wirtschaftliche Riese müsse wegen der Historie ein politischer Zwerg bleiben.

Von Jacob Heilbrunn

Welch bittere Ironie. Nach dem Kalten Krieg haben die USA Deutschland beschworen: Schluss mit der Ausrede, der wirtschaftliche Riese müsse wegen der Historie ein politischer Zwerg bleiben. Jetzt markiert Gerhard Schröder den politischen Riesen, der die Weltmacht von Abenteuern abhält. Die Bush-Regierung hatte aus alter Erfahrung eher mit französischer Hartnäckigkeit gerechnet. Und deutscher Harmoniesucht. Berlin würde aus Liebe zum Prinzip wie zum Kompromiss den Weg über die UN vermitteln.

In Amerika entdecken manche eine neue deutsche Macht in Europas Mitte. Das „Wall Street Journal“ meint, Deutschland habe jetzt erst zur Unabhängigkeit gefunden. Nur seltsam, wie sich das äußert: nicht in selbstbewusster Realpolitik, sondern in einem neuen Extrem – statt Militarismus nun Pazifismus. Deutschland begibt sich wieder auf einen Sonderweg. Der führt heute nicht nach rechts, sondern nach links. Wenn Schröder sagt, er akzeptiere nicht mal ein UN-Mandat, setzt er sich dem Vorwurf aus, der sich sonst gegen die USA richtet: Unilateralismus.

Präsident Bush gibt sich multilateral. Er lässt den Vereinten Nationen den Vortritt. Nur wenn die ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, wird er notfalls ohne sie handeln. Bush will die UN nicht durch Alleingänge unterminieren. Er befürchtet, dass sie selbst ihre Autorität unterminieren, wenn sie die Irak-Resolutionen nicht durchsetzen.

Bush hat die lange Liste der Sünden Saddam Husseins sorgfältig gesammelt. Schröder hat sorglos aus der Hüfte geschossen –und unbegründete Vorwürfe gegen die USA erhoben. Amerika stürze die Welt in Abenteuer, denke nicht über die Folgen nach, handele maßlos. War es in Kuwait, Kosovo, Afghanistan nicht ganz anders? Und wann hat Deutschland so offen und kritisch mögliche Bedrohungen durch den Irak diskutiert wie der US-Senat? Deutschland merkt offenbar gar nicht, wie viel Vertrauen Schröder mit seiner Wahlkampfnummer zerstört hat – Vertrauen, das er doch mit der Akzeptanz einer gewachsenen deutschen Verantwortung in der Welt aufgebaut hatte. Selbst wenn Schröder wieder gewählt wird: Auf absehbare Zeit hat er in Washington jeden Kredit verspielt. Ob er das Vertrauen je zurückgewinnen kann, erscheint heute fraglich.

In dem turbulenten Streit gerät aus dem Blick, dass Bush in der Irak-Frage für Ziele eintritt, die mal als links galten: gegen die Ausbreitung von Massenvernichtungswaffen, für die Demokratisierung des Irak. Auch in Afghanistan hat Bush sich Rot-Grün angenähert. Anfangs wollte er sich nicht in die dortige Innenpolitik einmischen; jetzt zwingt ihn die Entwicklung zum nation building.

Jacques Chirac unterstützt die Haltung der USA. Er ist für Militärschläge (mit UN-Mandat) und für den Regimewechsel. Als alte Realisten wollen die Franzosen mit entscheiden. Die Kosten sind gering. Ist der Krieg erfolgreich, fällt auch Glanz auf Paris. Wenn nicht, ist es eine Blamage für Amerika. Auch Deutschland könnte so rechnen. Aber Schröder wollte das ideologische Nein zum Krieg für sich nutzen. Ob er wenigstens da ein Realpolitiker ist, wird der 22. September zeigen.

Der Autor ist Leitartikler der „Los Angeles Times“. Foto: privat

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