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Meinung: Ein deutscher Held

Gedenken an den Widerstand: Zum 100. Geburtstag von Helmuth James von Moltke / Von Ulrich Schlie

Verantwortungsgefühl setzt Freiheit wie Bindung voraus“, hatte Helmuth James von Moltke 1941 in einer Denkschrift für den Kreisauer Kreis geschrieben. Freiheit und Bindung: Moltke verfügte über beides. Vor 100 Jahren, am 11. März, wurde er in Kreisau geboren, am 23. Januar 1945 wurde er im Gefängnis Plötzensee hingerichtet.

Aufgrund von Freiheit und Bindung war er immun gegen den Nationalsozialismus, er bekämpfte das Hitler-Regime von Anfang an. Das christlich geprägte Elternhaus, familiäre Tradition, die Verbundenheit mit der schlesischen Heimat, ein weiter Horizont, ein internationaler Freundeskreis – das waren die Bindungen, die zur inneren Freiheit befähigten, Recht von Unrecht nicht nur zu unterscheiden, sondern dies auch klar zu benennen. Er verfügte über die Gabe, Freundschaften schließen zu können, so wurde er zum Begründer und Kopf des Kreisauer Kreises, der sich häufiger als auf Moltkes Kreisauer Gut in Peter Graf Yorcks Lichterfelder Wohnung in der Hortensienstraße getroffen hatte. Auch Hans-Bernd von Haeften, Adam von Trott, Alfred Delp und Julius Leber gehörten zu den Kreisauern, sie alle bezahlten für ihre Überzeugung mit dem Leben.

Aus der Sicht des menschenverachtenden Regimes bestand ihr Verbrechen darin, dass sie über das Danach, über die geistigen, politischen und gesellschaftlichen Grundlagen eines Deutschlands nach Hitler nachgedacht hatten und, auch nach Kriegsausbruch, die Verbindung zur freien Welt, zu Briten und Amerikanern, gesucht hatten. Für alles, ob Außenpolitik, Sozialpolitik, Gesetzgebungsverfahren und Verwaltungsreform, hatten sie präzise Vorstellungen. In das herkömmliche politische Schema von links und rechts lassen sich die Kreisauer nicht einpassen. In der Bundesrepublik gab es keine Partei, die sich unmittelbar auf sie bezog, vermutlich hätte sie sich in keiner richtig wiedergefunden. Überhaupt hat ihre Stimme gefehlt. Es waren die besten der Nation, die im Zusammenhang mit dem 20. Juli ihr Leben lassen mussten.

Was würde Helmuth James von Moltke heute sagen? Die Themen ergeben sich aus der Biografie. Zunächst die Außenpolitik. Als Völkerrechtler im Dienst der Wehrmacht hat sich Moltke im Krieg für ein humanitäres Völkerrecht eingesetzt. Die verbindliche Anerkennung von allgemeinen Regeln, und dabei immer das Schicksal des Einzelnen im Blick, das war sein Thema. Er wusste, dass die Fortentwicklung der Grundsätze der Haager Landkriegsordnung dringend geboten war. Die Herrschaft des Rechts, im Nationalstaat wie in der internationalen Gemeinschaft, bedingen einander. Der alte Traum der Domestizierung von Macht durch Recht, er ist in der Staatenwelt bis heute geblieben, doch durch die Vereinten Nationen ist vieles verwirklicht, was Moltke damals vorschwebte.

Auch die Westbindung der Bundesrepublik ist in den außenpolitischen Vorstellungen Moltkes und der Kreisauer angelegt. Durch Studium, Familie und Freundeskreis waren Britannien und Amerika die natürlichen Ansprechpartner der Männer der deutschen Opposition gegen Hitler. Moltke selbst hat durch seine Gespräche mit amerikanischen Diplomaten in der neutralen Türkei unter konspirativen Umständen Memoranden an die Regierung Roosevelt übermittelt. Es war ihm wichtig, dass die Brücke zur freien Welt auch in den dunkelsten Tagen weiter bestand. Es war, um ein Wort aus den aktuellen Debatten aufzugreifen, Transatlantiker im besten Sinne. Vertrauen, persönliche Kontakte, gemeinsame Werte, auf diesem Fundament gelingt politisches Handeln, und: Freundschaften, Beziehungen müssen gepflegt werden.

Moltke hielt eine klare Niederlage Deutschlands für nötig, damit keine zweite Dolchstoßlegende entstehen könnte. Er war radikaler als andere, auch kompromisslos. Das Attentat auf Hitler hatte er, damals schon in Haft, aus moralischen Gründen abgelehnt. Entscheidende Instanz war für ihn allein sein Gewissen: die Richtschnur für sein Handeln. Ein Mithäftling aus den letzten Tagen schilderte ihn als „leuchtendes Beispiel einer ungebeugten Haltung aus Glauben.“ Macht und Ohnmacht auf den Kopf gestellt. Helmuth James von Moltke lebt allein durch sein Beispiel in der deutschen Geschichte fort. Auf immer.

Der Autor ist Historiker und lebt in Potsdam.

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