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Meinung: Ein Erreger fliegt um die Welt

Die asiatische Lungenentzündung in Deutschland: Noch lässt sich nicht sagen, wie gefährlich „Sars“ wirklich ist / Von Alexander S. Kekulé

WAS WISSEN SCHAFFT

Wie gefährlich die jetzt aus Südostasien verbreitete Lungenentzündung ist, lässt sich noch nicht sagen. Fest steht jedoch bereits, dass selbst hoch entwickelte Staaten die Ausbreitung der Infektion nicht verhindern konnten. Vergangene Woche registrierten die Gesundheitsbehörden in Hongkong den Ausbruch der mysteriösen Erkrankung.

Bereits am Wochenende hatte sich die Infektion per Flugzeug ihren Weg in die Welt gebahnt: In Kanada starben zwei Menschen, sieben weitere sind wahrscheinlich erkrankt. In einem Dutzend weiterer Länder liegen Verdachtsfälle auf Isolierstationen. In Frankfurt wird ein 32jähriger Arzt aus Singapur behandelt, der am Samstag mit dem Flugzeug aus New York angekommen war; seine mitgereiste Familie zeigt inzwischen ebenfalls Symptome. Weitere Patienten sind in Berlin, Leipzig und Dresden unter klinischer Beobachtung. Weltweit wurden innerhalb weniger Tage über 200 Verdachtsfälle gemeldet, mindestens neun Menschen starben – so die offizielle Version.

Der virologischen Gerüchteküche zufolge ist die Zahl der mutmaßlichen Opfer der neuen Krankheit viel größer. Seit dem vergangenen November tobt im Hinterland der chinesischen Provinz Guangdong eine mysteriöse Epidemie mit denselben Symptomen: Anzeichen einer beginnenden Grippe, plötzlich hohes Fieber mit Husten. Schließlich folgt eine mit Antibiotika nicht heilbare Form der Lungenentzündung, wie sie für Influenza und andere Virusinfektionen typisch ist. Bisher sollen dort über 300 Menschen erkrankt und mindestens fünf gestorben sein.

Die Dunkelziffer ist jedoch weit höher, weil viele Fälle offenbar ohne Lungenentzündung verlaufen und deshalb nicht erkannt werden. Dass die Krankheit dort offenbar schon seit einigen Monaten grassiert, ist jedoch keine schlechte, sondern die einzig gute Nachricht: Offensichtlich wird das vermutete Virus nur schlecht von Mensch zu Mensch übertragen, sonst hätte es sich bereits früher aus der als Urlaubsziel beliebten Provinz am südchinesischen Meer in die Welt verbreitet. Weil die meisten Fälle bei Krankenhauspersonal auftraten, nehmen die Fachleute an, dass die Infektion nur bei engem Kontakt übertragen wird.

Um welchen Erreger es sich handelt, ist noch vollkommen unklar. Der nahe liegende Verdacht, es gehe um ein neuartiges Grippevirus, mit dem die Epidemiologen seit längerem rechnen, konnte bisher nicht bestätigt werden. Die Suche nach der Ursache der „Sars“ (severe acute respiratory syndrome) genannten Lungenentzündung ist besonders schwierig, weil in den Speziallaboratorien bis zum Wochenende nur schlecht erhaltene Proben aus Asien verfügbar waren. Die in Frankfurt behandelte Arztfamilie könnte deshalb der Schlüssel zur Abwehr der Seuche sein, die von der Weltgesundheitsorganisation bereits als „weltweite Bedrohung“ eingestuft wurde.

Bisher zeigen die Frankfurter Fälle allerdings nur, wie viele Fehler – trotz Bioterror und Pockenangst – bei der Seuchenbekämpfung immer noch gemacht werden. Der Arzt hatte in seiner Heimat Sars-Patienten behandelt und flog nach einem Kongressbesuch von New York nach Frankfurt. Statt den bereits schwerkranken Passagier abzuweisen, machte die Fluggesellschaft eine Sitzreihe zum Liegen für ihn frei – ein perfekter Service für das Virus.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Halle-Wittenberg. Foto: Jacqueline Peyer

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