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Meinung: Ein grauenvoll geglücktes Experiment

Das Killervirus der Spanischen Grippe wurde wiederbelebt

Alexander S. Kekulé Es gibt Experimente, da hoffen sogar manche Wissenschaftler, sie mögen nicht gelingen. Als der USVirologe Jeffery Taubenberger vor einigen Jahren begann, in Leichen aus Alaskas Permafrost nach dem Auslöser der Spanischen Grippe zu suchen, schallte es Kritik von vielen Seiten – auch aus den Reihen der Kollegen: Die Wiederbelebung des Killervirus aus dem Jahre 1918/19 sei zu gefährlich. Wenn der Erreger versehentlich aus dem Labor entweicht, könnten ihm wie damals um die 40 Millionen Menschen zum Opfer fallen. Auch als biologische Waffe sei die todbringende Kreatur zu gebrauchen.

Doch der Virusforscher vom US-Militärinstitut für Pathologie in Rockville bei Washington machte unbeirrt weiter. Jetzt hat er es geschafft: Am Donnerstag und Freitag dieser Woche wird Taubenberger in den beiden höchstrangigen Wissenschaftsjournalen „Nature“ und „Science“ seine Ergebnisse veröffentlichen. Damit ist die Welt erstmals um eine einst ausgestorbene Spezies reicher: Das Killervirus der Spanischen Grippe von 1918 ist wieder auferstanden.

Ähnlich den Dinosauriern aus „Jurassic Park“ darf der neue Erdbewohner freilich nur in einem gesicherten Gehege leben: einem Labor der Stufe „L3“ (Level 3), das obendrein gegen potenzielle Virusdiebe wie eine Festung geschützt wird. Als ihr neuer Schützling bei den ersten Untersuchungen seine Kunststücke vorführte, stockte selbst den hartgesottenen US-Militärforschern der Atem. Das Influenzavirus der Spanischen Grippe, das zum Typ H1N1 gehört, war im Lungengewebe infizierter Mäuse 39000 Mal aktiver als heute zirkulierende H1N1-Viren. Der zum Vergleich verwendete aktuelle H1N1-Stamm aus dem Jahr 1991 ist bei Labormäusen nicht tödlich und führt höchstens zu Gewichtsverlust. Dagegen bekamen die mit dem Pandemievirus von 1918 infizierten Nager schlagartig eine schwere Lungenentzündung, nur drei Tage später waren sie mausetot. Das Virus tötete sogar befruchtete Hühnereier, die sonst zur Vermehrung von Influenzaviren verwendet werden.

Eine derart tödliche Wirkung wurde bei menschlichen Influenzaviren noch nie beobachtet. Allerdings kennt man solch außerordentliche Aggressivität von Erregern der Vogelgrippe, wie dem derzeit in Asien grassierenden Influenzavirus H5N1. Nach bisher vorherrschender Meinung müssen diese Vogelgrippeviren jedoch erst durch Austausch ihrer Gene mit einem menschlichen Grippevirus (Reassortment) die Fähigkeit zur Übertragung von Mensch zu Mensch erwerben.

Aufgrund der neuen Ergebnisse ist nun klar, dass die Pandemie von 1918 durch ein Vogelgrippevirus ausgelöst wurde, das direkt auf den Menschen übergesprungen ist, ohne vorher Gene von einem humanen Influenzavirus zu beziehen. Im Gegensatz dazu hatten sich die Erreger der Pandemien von 1957 und 1968, die „nur“ etwa eine halbe beziehungsweise eine Million Tote forderten, durch das Reassortment mit humanen Viren deutlich abgeschwächt.

Taubenberger und seine Kollegen fanden sogar, an welcher Stelle sich Vogelgrippeviren verändern müssen, damit sie den Menschen infizieren können: Zehn kleine Veränderungen (Mutationen) im „Polymerase-Gen“ genügen offenbar, um ein Vogelgrippevirus an den Menschen anzupassen. Erschreckenderweise fanden sich einige dieser Mutationen bereits in den – bisher sehr wenigen – Fällen, wo H5N1-Vogelviren menschliche Infektionen verursacht haben.

Die schlechte Nachricht heißt deshalb, dass das Vogelgrippevirus H5N1 direkt, also ohne Reassortment, die nächste Pandemie auslösen könnte. Eine weitere schlechte Nachricht ist, dass das Rezept für die künstliche Herstellung tödlicher Pandemieviren nun in der Welt ist – auch für missbräuchliche Anwendung. Aber es gibt auch gute Nachrichten: Gegen H5N1 existiert bereits ein Pilot-Impfstoff, der relativ schnell in großen Mengen produziert werden könnte. Damit hat die WHO die Chance, den Entstehungsherd des nächsten Killervirus frühzeitig zu identifizieren und der Ausbreitung entgegenzuwirken.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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