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Meinung: Ein Lob der Langweiler

Keine Sehnsucht nach Schröder, Fischer, Preisboxen

Man hätte es sich denken können: Erst sind sie erleichtert, dass der Krawall ausbleibt, dann beginnt man sich zu langweilen, und schließlich wünschen sich alle den Basta-Kanzler zurück, den letzten politischen Straßenfußballer, wie ihn Nikolaus Blome in der „Welt“ tituliert.

Ja, es ist wahr, es ist stiller geworden im Lande, die Koalition arbeitet unaufgeregt, solide, lärmfrei und zweckgerichtet, eben das, was Medienleute hassen. Denn worüber soll man schreiben, wenn Franz Müntefering sich nicht ausgetrickst fühlt und Angela Merkel kein Bedürfnis nach Neuwahlen hat? Endlich einmal über Inhalte, aber das ist schwierig, wenn man die Inszenierungen liebt. Cohiba-Zigarre und Brioni-Anzüge waren zu Beginn ein Thema. Rot-grünes Projekt hieß das Ganze. Geblieben ist der Bosnien-Einsatz der Bundeswehr, der Rest war blauer Dunst.

Erinnern wir uns noch, wie ein Außenminister Joschka Fischer die Welt rettete, indem er einen dreitägigen Waffenstillstand im Nahen Osten vermittelte, oder waren es fünf Tage? Und das neue Europa, die berühmte Rede in der Freien Universität? Vom Winde verweht, substanzlose Dampfplauderei. Mag ja sein, dass die rot-grüne Koalition das falsche Projekt zur falschen Zeit war, wie Gerhard Schröder jetzt vermutet.

Aber hat ihn jemand in diese Konstellation gezwungen? Was hat sich denn nun verändert zum Besseren? Ein bisschen mehr Selbstbewusstsein, ein bisschen mehr Zuwanderung, ein bisschen mehr europäische Zerfahrenheit und, ach ja, die Nichtteilnahme am Irakkrieg. Doch die war nur möglich, weil George W. Bush ihn führte und dem Kanzler zum Nein Gelegenheit gab. Der amerikanische Präsident war der Retter rot-grünen Sinnzusammenhangs.

Und schließlich war da noch die Agenda 2010 mit Hartz römisch eins bis vier, Gesetze, die hopplahopp verabschiedet wurden und nun nachgebessert werden müssen – Pfusch am Bau eben. Nein, bitte nicht noch einmal diese Regierung, bitte nicht noch einmal den eitlen Unernst dieser Darsteller. Seit der Außenminister wieder Diplomat und nicht Schauspieler ist und die Kanzlerin Politikerin und kein Medienstar, macht Politik fast wieder Spaß. Man kann darüber nachdenken und auch streiten, und was das Beste ist: Man kann ein paar Tage ohne Zeitung leben und hat dennoch nichts verpasst.

Zeit zum Atemholen! Wir hatten fast vergessen, dass Politik weder Straßenfußball noch Preisboxen ist. Wie heißt es in Tschechows „Onkel Wanja“ am Schluss: Sie sind weg, wir werden arbeiten, arbeiten, arbeiten. Max Weber hat in diesem Zusammenhang vom langsamen Bohren dicker Bretter gesprochen.

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