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Meinung: Ein richtiger Schock

Neukölln ein Slum? Wolfgang Schäuble hat nur das falsche Wort verwendet

Nord-Neukölln „ist ein wunderbarer Kiez mit wirklich hübschen Ecken, mit einer fantastischen Kultur“. Hey, aufwachen, bitte! Doch Michael Freiberg, der solch scheinbar Weltfremdes sagt, weiß, wovon er spricht – und ist politisch unverdächtig. Der Mann, der CDU-Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble widerspricht, ist selbst in der Union und außerdem Stadtrat im als Slum bezeichneten Neukölln.

So weit fallen die Wahrnehmungen auseinander. Wahr ist: Wer im Problemkiez lebt, hat gelernt, mit möglichst wenig „Stress“ durch den Alltag zu kommen und erlebt als normal, was Touristen oder Bezirksfremde aufs Höchste erschreckt: im Dienst erschossene Polizisten, hohe Arbeitslosigkeit, vernachlässigte Kinder, unbeschulbare Schulen und Ansätze einer Parallelgesellschaft unter Migranten, wo deutsche Gesetze nur eingeschränkt gelten. Ein ganzer Stadtteil ist seit dem Mauerfall ins Rutschen gekommen – und fast keiner hat’s wissen wollen. Nun gefährdet die brisante Mischung aus fehlenden Arbeitsplätzen, schwindender Kaufkraft, fehlenden Geldern für die Bildung und dem Wegzug der Mittelschichten massiv den sozialen Frieden.

Um aber als Slum zu gelten, dazu gehört mehr. Haben sie nicht etwas Kleingeld?, würde der Berliner sagen. Wer mit seinen Worten an Elendsquartiere in Mexiko oder an von der Drogenmafia beherrschte Favelas in Brasilien denken lässt, der ist wohl einfach nur schwäbische Musterkommunen mit geregelter Kehrwoche gewöhnt.

Aber einen Grund, jetzt beleidigte Leberwurst zu spielen, wie es Klaus Wowereit oder andere Berliner Politiker tun, gibt es nicht. Falsches Wort, richtiger Anstoß: Großstädte haben ihre Probleme mit einer ausländisch-stämmigen Bevölkerung – und endlich wird darüber gesprochen. Denn was die Politik beim Thema Integration über Jahrzehnte versäumt hat, dass ist in Berlin, in Frankfurt und überall dort, wo Migranten einen hohen Anteil der Bevölkerung ausmachen, zuerst spürbar. Deswegen ist es gut, dass Schäuble mit dem Wort vom Slum schockt.

Neukölln ist knallhart, das hat selbst Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky vertreten. Nicht mit dem großen Wurf lassen sich die Probleme dort lösen, sondern nur durch eine beharrliche, kleinteilige Strategie. Das kann ein Bezirk nicht allein leisten, und selbst Städte brauchen die Hilfe des Bundes. Um Eltern ihre Pflichten unmissverständlich deutlich zu machen, Kindern klare Regeln zu setzen, einwandfreies Deutsch wieder zur Mehrheitssprache zu machen und das Gewaltmonopol des Staates wieder durchzusetzen, ist eine beharrliche Politik nötig, die nicht bereits morgen ihre guten Vorsätze von heute wieder vergessen hat: bis zum nächsten Brandbrief.

Dann aber braucht es einen Innenminister, der seine Worte ernst nimmt und tut, was er sagt. Wenn die Situation in Berlin-Neukölln und Hamburg-Billbrook so alarmierend ist, dann wäre eine Integrationskonferenz noch vor der politischen Sommerpause ein wichtiges Signal. Es fehlt nicht an der Analyse der Verhältnisse, es fehlt an Antworten. Die indes brauchen wir schnell. Es sind unsere Kinder, denen wir eine Zukunft geben müssen – auch in den Problemkiezen von Berlin, Frankfurt und Hamburg.

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