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Was heute ein Rechtsbruch ist, kann morgen legal sein - etwa das Durchschneiden eines Versorgungsschlauchs, wenn ein Todkranker dies wünscht.

© dapd

Ein SPRUCH: Am Recht rütteln

Ohne Querulanten und Rechtsbrecher wären wir heute nicht, wo wir sind. Ob Sterbehilfe oder Homo-Ehe, die aktuelle Entwicklung zeigt: Es ist gut, wenn die Gesetze immer wieder in Frage gestellt werden.

Von Fatina Keilani

Ein Lob den Querulanten, Missetätern und, ja – sogar den Rechtsbrechern. Ohne sie wären wir heute nicht, wo wir sind. Sie rütteln an den Grenzen des Rechts, stellen sie infrage, wollen sie verschieben. Sei es die Tochter, die den Versorgungsschlauch durchschneidet, weil sie weiß, dass die todkranke Mutter es so wünscht, und die eine Verurteilung in Kauf nimmt. Oder ihr Anwalt, der ihr dazu rät. Wolfgang Putz war so einer.

Putz wurde im April 2009 wegen versuchten gemeinschaftlichen Totschlags zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Der Bundesgerichtshof sprach ihn im Juni 2010 frei. Das Urteil wurde als Meilenstein gewertet, weil es Rechtsklarheit auf einem Teilgebiet der Sterbehilfe herstellte. Doch nicht nur das. Es brachte die Debatte richtig in Schwung, die wir auch jetzt wieder haben. Wer darf über das Sterben entscheiden? Soll die Leitlinie sein: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen?“ Dann dürfte der Mensch in den Verlauf nicht lebensverkürzend eingreifen. Oder soll in einer freien Gesellschaft der Einzelne, nachdem ihm das Leben geschenkt wurde, selbst die Hoheit über sein Sterben erlangen? Das rührt an die Grenzen unseres christlich-abendländischen Selbstverständnisses, hinzu kommt das schwere Erbe der Euthanasie.

Den Unzufriedenen ist es auch zu verdanken, dass eingetragene Lebenspartner nach und nach den Eheleuten gleichgestellt werden. Am vergangenen Mittwoch wurde ein weiterer Schritt in diese Richtung getan: Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass homosexuelle Beamte in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft die gleichen Zuschläge erhalten müssen wie heterosexuelle Ehepaare. Andere schwule „Rechthaber“ hatten zuvor schon die Gleichstellung zum Beispiel in Teilen des Steuerrechts, des Arbeits- und Sozialrechts erstritten.

Sicher hätte man das leichter haben können. Einfach überall in den Gesetzen, in denen von Ehe die Rede ist, „und eingetragene Lebenspartnerschaften“ hinzufügen – fertig. Doch so weit war Deutschland im Jahr 2001 eben nicht. Auch hier musste erst wieder debattiert werden – ist die Ehe heilig und deshalb rechtlich wertvoller als das Treueversprechen zweier Individuen?

Dies alles mag auch an einem gewandelten Verständnis der Erziehung liegen. Wurde früher Gehorsam gepredigt, erzieht man heute die Kinder zu gesundem Widerspruch. Dies spiegelt sich auch in den Gerichten. Die Klagen nehmen zu. Die Bürger nehmen nicht mehr nur hin, sondern (er)kennen ihr Recht und lassen die Gerichte darauf erkennen. Obrigkeitshörigkeit ist nicht mehr en vogue. Wie gut. Das macht den Rechtsstaat aus.

Die Diskussion wird weitergehen, auf allen Gebieten. Die Gesellschaft entwickelt sich, das Recht mit ihr. Außer, wenn niemand seine Grenzen infrage stellt.

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