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Meinung: Ein Staat entlarvt sich

DEUTSCHE STIFTUNGEN VOR GERICHT IN ANKARA

Woran erkennt man, ob es in einem Land rechtsstaatliche Strukturen gibt? Ganz einfach – am Umgang der Justiz mit Angeklagten. So betrachtet, hat das skandalöse Gerichtsverfahren gegen fünf deutsche Stiftungen in Ankara etwas Gutes. Wir sehen daran, wie weit die Türkei noch von jenen Grundstrukturen entfernt ist, ohne die sich eine Debatte über eine potenzielle EUMitgliedschaft des Landes verbietet. In einem Staat, der demokratisch verfasst ist und der die Menschenrechte respektiert, wäre es zu diesem Verfahren nie gekommen. Jeder Staatsanwalt hätte eine Anklageerhebung abgelehnt. „Geheimbündelei“ und „geheime Absprachen gegen die Sicherheit des türkischen Staates“ lautet der Vorwurf. Selbst wenn sich eine Bürgerbewegung gegen den Goldabbau mit hochgiftigem Zyanid Rat bei den deutschen Stiftungen geholt haben sollte, wäre damit die Sicherheit des türkischen Staates nicht gefährdet worden. Der abstruse Vorwurf wurde erstmals von dem inzwischen ermordeten nationalistischen Geschichtsprofessor Hablemitoglu erhoben. Hablemitoglu steht für ein Verständnis vom Staat, das diesem eine alle individuellen Freiheitsrechte überwölbende und zurückdrängende Machtposition zuweist. Es ist ein Staatsverständnis, das man so heute überhaupt nur noch aus Diktaturen kennt. Die Türkei hat sich gestern in einem Gerichtssaal in Ankara also entlarvt. Ihr Weg nach Europa ist viel länger, als ihre Politiker und manche Träumer bei uns glauben. apz

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