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Meinung: Ein Traum von Aufschwung

In Deutschland ist der Boom noch Zukunftsmusik – in den USA hat er schon begonnen

Sehen wir es mal positiv: Die Unternehmer können sich vor guten Nachrichten kaum retten. Die US-Wirtschaft ist in den vergangenen drei Monaten so stark gewachsen wie seit 20 Jahren nicht mehr. Die Stimmung in den deutschen Unternehmen ist laut Ifo-Institut so gut wie zuletzt vor drei Jahren. Und vor drei Jahren, wir erinnern uns, boomte und brummte die Wirtschaft. Das Wachstum lag in Deutschland bei 2,9 Prozent, Finanzminister Eichel galt als weitsichtiger Haushaltssanierer, an der Börse schien alles möglich, und die Konsumenten taten, was sie dem Namen nach tun sollen – sie konsumierten. Der Vergleich hinkt?

Am Donnerstag wurde aus den USA eine Wachstumsrate gemeldet, die keinen Zweifel mehr daran lässt, dass es mit der Weltwirtschaft tatsächlich wieder bergauf geht. Wenn die größte Volkswirtschaft im dritten Quartal mit einer auf das Gesamtjahr übertragenen Rate von 7,2 Prozent wächst, dann können die Ökonomen hochrechnen: Die deutsche Wirtschaft – Exportnation Nummer eins – wird auf diesen Wachstumskurs einschwenken. Amerikaner kaufen mehr deutsche Produkte, deutsche Firmen investieren in den USA. Die Finanzmärkte beleben sich, die Lokomotive fährt an.

Aber: Hörten wir nicht eben, dass die deutsche Wirtschaft 2003 gar nicht wächst? Null Wachstum diesseits und 7,2 Prozent jenseits des Atlantiks – geht das zusammen?

Es geht. Denn während sich der Optimismus hier zu Lande bis vor kurzem noch aus Zukunftsmusik speiste, haben die amerikanischen Unternehmen und Verbraucher mit dem Aufschwung sozusagen schon angefangen. Sie produzieren und konsumieren wieder mehr, und der schwache Dollar tut sein übriges, um US-Produkte in aller Welt attraktiver zu machen. Die Kehrseite – die extrem hohe Verschuldung des amerikanischen Staates und der Verbraucher – bleibt einstweilen Kehrseite. So tickt die US-Wirtschaft: Die glänzende Vorderseite interessiert jetzt mehr, als Stimmungsaufheller, als Motivator und Ansporn für Konsumenten und Unternehmen. Let’s do it! Packen wir es an!

Und wir? Lamentieren wir nur, haben Angst vor Reformen, den Rentenproblemen und dem Zugriff des Fiskus? Für die deutschen Sparer und Verbraucher lautet die Antwort noch Ja. Das zeigen die Vermögensstatistik und das Konsumklima der GfK. Für die Unternehmer aber besteht Anlass zur Erleichterung. Das Ifo-Institut hat es am Montag mit seinem Geschäftsklimaindex bestätigt: Was sich für die Gesamtwirtschaft abzeichnet, ist in den Geschäftszahlen der Unternehmen endlich sichtbar. Auch die Gewinn- und Verlustrechnungen und die Auftragsbestände haben – endlich – ein positives Vorzeichen, nicht nur die Erwartungen für 2004.

Geht es den Unternehmen also besser, als die Bedenkenträger zugeben wollen? Fesselt die Endlosschleife, in der Sozial- und Arbeitsmarktreformen diskutiert werden, Unternehmergeist und Tatendrang doch nicht? Offenbar nicht so stark, wie Verbände und Interessenvertreter kundtun. Es scheint, als seien die Unternehmer wieder dabei, sich auf ihre Aufgaben zu besinnen: neue Produkte entwickeln, neue Märkte erschließen, neue Chancen nutzen. Wann sollten sie es auch tun, wenn nicht jetzt? Die Stunde der Innovativen und Entdecker schlägt heute – am Ende der Flaute. Von allein wird sich die Wachstumskurve den Weg nicht nach oben suchen. Es braucht schon ein paar Unternehmer, die jetzt auch etwas unternehmen.

Aber wer soll die vielen neuen Produkte kaufen, wenn den Leuten Geld und Vertrauen fehlen? Auch hier zeigen die Amerikaner, wie es gehen kann. Gebettet auf ein dickeres Vermögenspolster, das sie sich während des Aktienbooms angespart haben, strapazieren die US-Verbraucher ihren Kreditrahmen bis zum Äußersten. Da es dem Staat in den 90er Jahren gelang, ein Haushaltsplus zu erzielen, mussten die Konsumenten keine Steuererhöhungen in der Zukunft fürchten. Weniger Angst, weniger Ersparnis, mehr Konsum: in Deutschland ein unerfüllter Traum. Und die Sorge, den Job zu verlieren und Konsumgewohnheiten aufgeben zu müssen, wird den Amerikanern dadurch genommen, dass der US-Arbeitsmarkt richtig flexibel ist. Eine neue Stelle lässt sich schneller finden als in Deutschland. Noch so ein unerfüllter deutscher Traum.

Sehen wir es mal positiv: Mit 7,2 Prozent Wachstum in den USA könnten auch manche deutsche Träume doch in Erfüllung gehen.

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