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Ein Zwischenruf zur…: …Sozialstaatsdebatte

Barbara John über den zukünftigen Arbeitskräftemangel und die Notwendigkeit einer panikfreien Politik.

Endlich taut, was uns zwei Monate ins Schlittern brachte. Nur in der Politik scheint die Eiszeit fortzudauern mit inhaltlicher Erstarrung, Stillstand, Ausrutschern. Alle Parteien bereiten sich vor auf die Schlacht um den deutschen Sozialstaat, als sei die Zukunft Deutschlands an dieses Thema gekettet. Gewiss, es gibt gravierende Schwächen: Rechte und Ansprüche werden zu groß geschrieben und Eigenverantwortung der Leistungsfähigen zu klein.

Aber davon geht Deutschland nicht unter. Da sind ganz andere Kräfte am Werk, um die sich die Politik derzeit einen Dreck schert, nämlich der zukünftige Arbeitskräftemangel. Schon in fünf Jahren werden mehr als 600 000 Hochschulabsolventen fehlen, die erziehen, heilen, ausbilden, lehren, forschen, entwickeln, Recht und Gesetz anwenden können. In zehn Jahren sind es zehnmal mehr. Fehlen werden auch diejenigen, die pflegen, Kleinkinder betreuen und bilden, die Maschinen warten und bedienen, die verkaufen, bewirten, reinigen.

Schon heute bleiben in Berlin Lehrstellen aus Mangel an Bewerbern vakant – auch ein erstes Signal, dass Deutschland sachte, aber ungebremst ins Arbeitskräfteloch schlittert, wenn nicht gegengesteuert wird. Und sind wir erst einmal darin versackt, ist es zu spät für panikfreie Politik. Wer erinnert sich nicht an die sechziger Jahre, als Gastarbeiter Hals über Kopf aus den Mittelmeerländern importiert wurden, ohne die langfristigen Folgen zu bedenken.

Jetzt ist die Zeit, politisch zu entscheiden, denn Neues braucht Raum und Weile, um sich zu entwickeln. Denkbar ist neben einer Bildungsoffensive so manches: Viele Frauen sind bereit zum beruflichen Wiedereinstieg, gäbe es nur genügend professionelle Trainings, möglichst in Zusammenarbeit mit Arbeitgebern. Warum gibt es kein gemeinsames Vorgehen von Staat und Wirtschaft, um qualifizierte deutsche und ausländische Studienabsolventen in Deutschland zu behalten oder herzuholen? Wann gibt es endlich Vereinbarungen mit den Kammern, Fachkräfte nicht festzunageln auf bestimmte Tätigkeiten, sondern flexibel einzusetzen? Wo bleiben die versprochenen Anerkennungen der Qualifikationen, die Einwanderer mitgebracht haben? Ab wann können Ältere über die Altersgrenze hinaus freiwillig weiterarbeiten?

Wenn sich nichts bewegt, wird viel passieren: Firmen wandern aus; Alte, Kranke und Kinder werden vernachlässigt; Einkommen und Steuern gehen in Milliardenhöhe verloren. Nicht mal astronomisch hohe Kredite für Banken könnten dann noch helfen.

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