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Meinung: Eine ethisch einwandfreie Therapie

Stammzellen aus Fruchtwasser könnten eine Lösung darstellen

Alexander S. Kekulé Wenn Anthony Atala recht hat, werfen wir bei jeder Geburt die dem Baby mitgelieferte Lebensversicherung in den Mülleimer: Wie der Direktor am Wake-Forest-Institut für Reproduktionsmedizin in North Carolina (USA) und seine Arbeitsgruppe herausfanden, enthalten Fruchtwasser und Plazenta Hunderttausende wertvoller Stammzellen, aus denen sich menschliche Ersatzteile züchten ließen.

Die Stammzellforschung steckt seit Jahren in einem Dilemma. Embryonale Stammzellen können im Prinzip zu jedem Teil eines Menschen heranwachsen, sie sind „pluripotent“ („viel könnend“). Jedoch ist ihre Verwendung ethisch problematisch, weil bei ihrer Gewinnung menschliche Embryos zerstört werden. Aus erwachsenem Gewebe gewonnene, „adulte Stammzellen“ haben dagegen den Nachteil, dass sie nur „multipotent“ sind: Aus ihnen lassen sich nur einige spezielle Gewebearten züchten. Zudem vermehren sie sich nur sehr langsam und mit Hilfe stimulierender Fremdzellen („feeder cells“). In den letzten Jahren konnten zwar auch aus Knochenmark und Hodengewebe nahezu pluripotente adulte Stammzellen gewonnen werden. Sie sind jedoch sehr selten, technisch schwierig zu gewinnen und vermehren sich in der Gewebekultur nur langsam. Als Basis für menschliche Ersatzteillager sind adulte Stammzellen deshalb bislang nicht geeignet.

Wenn die jetzt publizierten Ergebnisse stimmen, könnten sie den Durchbruch für künftige, praktikable Stammzelltherapien bringen. Ein Prozent der im Fruchtwasser enthaltenen Zellen sollen Stammzellen mit einer herausragenden Multipotenz sein: Sie konnten bereits in Muskel-, Knochen-, Fett-, Leber- und Nervenzellen verwandelt werden. Möglicherweise sind sie sogar pluripotent, wie embryonale Stammzellen. Zudem vermehren sie sich fast so schnell wie embryonale Stammzellen und benötigen dafür keine „feeder cells“. Und sie sind unsterblich: Während sich viele adulte Stammzellen im Labor nur 50 Mal teilen, sind die Fruchtwasser- Stammzellen, wie embryonale Stammzellen, an dieses sogenannte „Hayflick-Limit“ nicht gebunden.

Damit wird eine praktikable und ethisch einwandfreie Stammzelltherapie denkbar. Wenn bei jeder Geburt die Stammzellen aus Fruchtwasser und Plazenta eingefroren werden, könnten daraus eines Tages Ersatzgewebe für zerstörte Nerven, Herzklappen, Muskeln oder beliebige andere Organe gezüchtet werden. Alternativ ließe sich mit etwa 100 000 verschiedenen Stammzelllinien eine Gewebebank anlegen, die für nahezu jeden Patienten immunologisch passende Ersatzteile produziert.

In der ideologisch geprägten öffentlichen Diskussion dient die neue Methode als Argument gegen die embryonale Stammzellforschung. Der Vatikan ließ bereits verkünden, dieses „ethisch zulässige“ Verfahren zeige, dass „Glaube und Wissenschaft keine Gegensätze bilden“. Tatsächlich ist jedoch auch die adulte Stammzellforschung auf Erkenntnisse mit embryonalen Stammzellen angewiesen: Nur durch Kenntnis der Eigenschaften dieser „echten“, vollständig pluripotenten Alleskönner lassen sich ähnliche Zellen in Fruchtwasser, Hodengewebe oder Knochenmark aufspüren. Nur durch Kenntnis der normalen embryonalen Organentwicklung können eines Tages Gewebe und Organe im Labor nachgezüchtet werden.

Auch die aktuelle Erfolgsmeldung macht embryonale Stammzellforschung keineswegs überflüssig: Um die seit Jahren bekannten Stammzellen des Fruchtwassers herauszufischen, benützte Atala einen Antikörper namens „CD117“. Dass dieser dafür geeignet ist, war zuvor in Experimenten mit embryonalen Stammzellen gezeigt worden.

Die Aussicht auf eine leicht zugängliche Quelle für immunologisch passende Stammzellen dürfte das ganze Forschungsgebiet stimulieren. Wahlerfolge der Demokraten könnten die embryonale Stammzellforschung in den USA zusätzlich voranbringen. Wenn die Deutschen nicht jetzt ihre Stammzellpolitik überdenken, werden sie später die neuen Therapien importieren müssen.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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