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Meinung: Eine Frau für die Männer

Angela Merkel zahlt jetzt schon den Preis für ihren Aufstieg an die Macht

Wenn etwas zum ersten Mal passiert, dann ist es nie „ganz normal“. Eine Frau als Kanzlerin? Das ist doch keine Frage mehr! Andere Länder haben uns vorgemacht, dass auch Frauen Spitzenämter ausüben können – warum also nicht Merkel?

Doch diese schulterzuckende Rationalität ist auch ein Deckmantel. Natürlich ist es ein aufregender Stoff für die Stammtische aller Milieus, dass Merkel es „geschafft“ hat. Keine Frau im ganzen Land, die sich nicht ins Fäustchen lacht, wie die mit ihren starken Jungs fertig geworden ist. Interessant wiederum, dass dieses Vergnügen mit dem politischen Abstand zur CDU-Chefin wächst. Viele traditionelle Unions-Anhängerinnen empfinden über Merkels Aufstieg eher jenes leise Grausen, von dem wohl kein einziger Mann im Land ganz frei ist. Wollen wir das wirklich, Frauen mit so viel Machtsinn? Diese Kandidatur rührt an die Gefühle des uralten Geschlechterkampfs, wo aktuell, wie man nicht nur an Scheidungs- und Geburtenraten ablesen kann, eine ausgeprägte Unsicherheit herrscht.

Deshalb ist es eben doch eine Frage: eine Frau als Kanzlerin? Identifikation, Vertrauen, Authentizität, um diese unscharfen Faktoren geht es in der Hauptsache, wenn die Bürger sich ihr Urteil bilden über ihre Spitzenrepräsentanten. Es ist nicht nur eine Sachfrage, dass Merkel den Frauen bei Frauenförderung, Familie und Bildung eindeutig weniger zu bieten hat als SPD oder Grüne. Wie jede „erste Frau“ zahlt Merkel für ihren Aufstieg in den männlich dominierten Strukturen einen Preis. Sie wurde Chefin der christlichen Volkspartei zu Lasten der Frauenthemen. Sie weiß es – und kompensiert das Defizit durch Personal. Aber die Kombination aus Merkel, der kinderlosen Spitzenfrau, und Ursula von der Leyen, der Tochter aus gutem Hause und berufstätigen Mutter von sieben Kindern, ist allenfalls ein Angebot an die männliche Unions-Anhängerschaft. Keine Hausfrau, keine gut gebildete Akademikerin, die Beruf und Kinder unter einen Hut bringen will, kann sich mit der einen oder der anderen identifizieren. Beide sind ganz und gar untypisch.

Ein Prototyp erster Klasse hingegen ist ihr Konkurrent. Gerhard Schröder hat es geschafft, den vorgegebenen männlichen Mustern seinen persönlichen Stempel aufzudrücken. Er löst – so oder so – starke Gefühle aus, der tatkräftige Kämpfer, der sich aus kleinen Verhältnissen hochgearbeitet hat zum Staatsmann, der sich im Konfliktfall sogar mit den USA misst. Für manchen Mann ist er ein prinzipienloser Filou. Aber den letzten Wahlsieg hat er den Frauen zu verdanken, die „großen Jungen“ ja auch sonst manchen Fehler nachsehen müssen. Am Sonntag bei „Christiansen“ war zu besichtigen, wie gut es einem Mann an der Spitze bekommt, wenn er in einer Weise kommunizieren kann, die eigentlich als weiblich gilt. Schröder war überlegen, weil er empathisch und seinen Gesprächspartnern sogar dann zugewandt war, wenn er ihnen widersprach. Dass eine Frau an der Spitze einen gefährlichen Weg geht, wenn sie den männlichen Stil des Darüber-Hinweg-Redens übernimmt, hat am gleichen Tag Merkels Interview in der ARD gezeigt.

Jede Wette, dass mehr Frauen als Männer Schröder wählen – und mehr Männer als Frauen die Kanzlerkandidatin Merkel. Denn Frauen, nicht Männer werden auf Merkel die Erwartung übertragen, die sie leider bis heute an sich selbst richten: Perfektion in allen Rollen. Schaffe das Unmögliche.

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