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Meinung: Eine ganz eigene Agenda

Rot-Grün muss sich nicht nur am Rhein neu erfinden

Niemand hat ein Ultimatum gestellt, heißt es bei den Grünen in Düsseldorf beschwichtigend. Es sieht so aus, als wolle Peer Steinbrück einlenken. Jedenfalls hat er die Brechstange erst einmal aus der Hand gelegt, die er in den letzten beiden Wochen an das rot-grüne Bündnis in Nordrhein-Westfalen gelegt hat. Am Freitag trifft sich der Koalitionsausschuss. Die Grünen haben ein Papier geschrieben. Die SPD legt auch eins vor. Wieder eine Koalitionskrise, wieder geht sie zu Ende. Alles wie gehabt in Düsseldorf?

Überhaupt nicht. Die mehrjährige Gewöhnung an Düsseldorfer Streitszenarien täuscht darüber hinweg, dass diese Krise bemerkenswert neue Züge trägt. Erstens hat sie in diesem Fall keinen sachlichen Anlass, sondern einen Macher. Der Ministerpräsident persönlich hat sie ausgerufen, und zwar öffentlich. Zweitens hat die SPD-Spitze in Berlin sie erstaunlich laufenlassen; ein Spitzengespräch zwischen Steinbrück und Gerhard Schröder endete ohne greifbares Ergebnis. Drittens bleiben die üblichen Treue-Schwüre aus. Steinbrück stellt kein Ultimatum, aber eben auch keinen Garantieschein aus. Wenn SPD und Grüne sich in den nächsten Wochen zusammenraufen, dann nur, wenn die Koalition es schafft, sich neu zu erfinden.

Kein Zweifel, dass Steinbrück auch deshalb wieder elastischer mit seinem Koalitionspartner umgeht, weil er mit seinem Vorstoß an Grenzen gestoßen ist. Seine eigene Partei will nicht weg von den Grünen. Schon gar nicht in Richtung FDP, die von den Sozialdemokraten immer noch als Möllemann-Verein oder – kaum besser – als politischer Niemand wahrgenommen wird. Aber schon die Mahnungen der Berliner SPD-Spitze werden Steinbrück nur in Maßen beeindruckt haben – weil sie nur in Maßen vorgetragen worden sind. Es ist wahr, dass ein Bruch in Düsseldorf höchst unerfreuliche Folgen auf das rot-grüne Gefüge in Berlin hätte. Es stimmt aber, dass Steinbrücks wichtigstes Ziel auch aus Sicht der SPD-Spitze eine eigene Rationalität hat. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident weiß, dass er mit einer Landesregierung im gegenwärtigen Zustand die Kommunalwahl im nächsten und die Landeswahl im übernächsten Jahr nicht gewinnen kann. Niederlagen bei diesen Wahlen könnte aber auch die schwache rot-grüne Koalition in Berlin nicht verkraften; eine verlorene Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen würde das Ende von Rot-Grün in Berlin besiegeln.

Steinbrücks rabiates Vorgehen zielt im Kern nicht auf einen Koalitionswechsel. Er braucht zum Überleben einen Politikwechsel, eine Landesregierung, die zu einem entschiedenen Reformkurs aufbricht. Mit den Grünen oder ohne sie. Es kann sein, dass sein rabiates Vorgehen die Gemüter der Sozialdemokraten und der Grünen überfordert hat. Doch Steinbrück, unverhofft und ohne Profil Ministerpräsident geworden, hat gar keine andere Wahl. An persönlicher Kontur hat er mit dieser Krise gewonnen. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob er mit der Androhung des Bruchs auch politische Bewegung geschaffen hat – bei SPD und Grünen.

Bei nüchterner Betrachtung hat Steinbrück nur mit anderen Mitteln fortgesetzt, was der Kanzler am 14. März vorgemacht hat. Mit der Agenda 2010 hat Schröder die rot-grüne Koalition in Berlin neu definiert. Steinbrück verfolgt mit der Drohung des Koalitionsbruchs das gleiche Ziel: Nur wer mutig reformiert, hat eine Chance.

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