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Meinung: Eine Nation gibt sich die Ehre

Von Pascale Hugues Morgen wählen die Franzosen ihre Abgeordneten, und es ist nicht auszuschließen, dass das düstere Szenario der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen sich wiederholt. Wie viel Prozent wird die Front National holen?

Von Pascale Hugues

Morgen wählen die Franzosen ihre Abgeordneten, und es ist nicht auszuschließen, dass das düstere Szenario der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen sich wiederholt. Wie viel Prozent wird die Front National holen? Das ist die beunruhigende Frage, auf die wir am Sonntagabend eine Antwort bekommen werden.

Glücklicherweise bleibt uns in diesen für unser Land so ungnädigen Zeiten eine kleine Enklave des nationalen Stolzes, wo die Welt sich noch ruhig um die eigene Achse dreht und wo Frankreich noch immer ohne rot zu werden die universalen Werte predigen kann, für deren einzigen Wächter es sich hält. Nein, die Enttäuschungen, die uns die Wähler bereitet haben, bringen das Leben in den gediegenen Salons der französischen Botschaft in Berlin nicht durcheinander, wo man in diesen Zeiten ein kleines Ritual pflegt, das uns alle der Größe Frankreichs versichert.

In Anwesenheit einer exklusiven Auswahl von herausgeputzten Berlinern verleiht der Botschafter zwischen Gläsern voller perlendem Champagner und Tabletts mit köstlichen Petits-Fours die Würde der Ehrenlegion an jene Deutschen, die der französische Präsident für würdig befunden hat.

Zum ersten Mal gab es das im Jahr 1808: Napoleon, der gerade zurück aus Erfurt war, riss seiner Uniform den Grand Cordon ab, um ihn Goethe an die Brust zu heften. Heute bevorzugt man eine weniger theatralische Geste. Doch die Liebeserklärungen der neuen Ritter und Offiziere der Ehrenlegion sind nicht weniger leidenschaftlich. Welche unerwartete Lobeshymnen! Nehmen Sie den Verleger Klaus Wagenbach. Man wusste von seiner offen gelebten Liaison mit Italien. Und da gesteht er uns eine lange und geheime Romanze mit Frankreich!

In jungen Jahren fuhr der muntere Ritter auf dem Fahrrad mit wohlgeformten Waden durch die französischen Lande und aß – in kurzer Lederhose und Baskenmütze! – mit Beckett im „La Coupole“, dem mythischen Restaurant der Pariser Intellektuellen. Das war in den 50er Jahren. Heute bezeichnet der Verleger von Ulrike Meinhof sich gern als der am häufigsten vorbestrafte lebende deutsche Verleger.

Auch an diesem Abend betont man seitens der Botschaft, die Auszeichnung sei keineswegs mit Verbürgerlichung in Verbindung zu bringen, aber das ändert alles nichts daran – mit dem roten Ordensband und der Medaille am Revers seiner Jacke und der stolzgeschwellten Brust darunter sieht er aus wie ein sowjetischer General am Ende seiner Karriere. Liebe macht blind, das ist bekannt. Eine so radikale Metamorphose aus Liebe zu Frankreich! Was für ein Kompliment für unser schönes Land! Danke, Chevalier Wagenbach!

So erwarten wir gestählt den Schlussgong morgen Abend um 20 Uhr. Gebt acht, Officiers und Chevaliers! Falls Sie im Fall eines neuen Erfolgs der Rechtsextremen ein unerträglich schlechtes Gewissen ereilen sollte – es ist nicht untersagt, den Orden zurückzugeben.

Die Autorin schreibt für das französische Magazin „Le Point“. Foto: privat

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