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Meinung: „Eine wertvolle Erfahrung für mich“

Die kollektive Erinnerung an Olympische Spiele ist im medialen Zeitalter von Bildern bestimmt. Von besonders schönen, traurigen – oder schrecklichen: Da wirft Hao Zhang, der chinesische Eiskunstläufer, seine Partnerin Dan Zhang im Turiner Palavela hoch in die Luft.

Die kollektive Erinnerung an Olympische Spiele ist im medialen Zeitalter von Bildern bestimmt. Von besonders schönen, traurigen – oder schrecklichen: Da wirft Hao Zhang, der chinesische Eiskunstläufer, seine Partnerin Dan Zhang im Turiner Palavela hoch in die Luft. Es soll ein vierfacher Wurf-Salchow werden, eine Weltpremiere. Dan Zhang dreht sich viermal in der Luft. Doch sie kann den Sprung nicht abfangen, donnert mit dem linken Knie aufs Eis, die Wucht des Aufpralls lässt sie – wie aufgerissen – fast im Spagat landen. Die 20-jährige zerbrechliche Frau steht benommen wieder auf, hält sich das Knie. Nach Beratung mit dem Trainer laufen sie wieder los – und sie holen Silber hinter den brillanten Russen Tatjana Totmianina und Maxim Marinin.

Die Preisrichter belohnten letztlich die Tapferkeit der jungen Chinesin. Doch war die Leistung wirklich tapfer, nicht einfach unverantwortlich, die Schmerzen nicht fürchterlich? Stand Dan Zhang womöglich unter so großem Druck, dass sie nicht aufzugeben wagte? Es ist schwer, sich den chinesischen Sportlern zu nähern. Der Auftritt des Paares auf der Pressekonferenz ist gespenstisch. Eng zusammengerückt sitzen die beiden da, wie innerlich abgeschirmt. Blickkontakt zum Publikum vermeiden sie völlig. Englisch sprechen sie gar nicht. Dan Zhang sagt zunächst gar nichts, ihr Partner redet an ihrer Stelle: „Wir wollten nicht aufgeben“, stellt er fest, ohne Dan Zhang zu fragen, ob sie das auch so sehe. Erst nach mehrfacher Aufforderung macht Dan Zhang den Mund auf. „Das war eine wertvolle Erfahrung für mich. Ich bin so hart gefallen und habe hinterher alles hinbekommen“, sagt sie – und: „Es tut mir Leid, dass ich es nicht besser gemacht habe.“ Dan und Hao Zhang, die nicht miteinander verwandt sind, laufen seit 1998 zusammen. Ihr Coach ist der Urvater des chinesischen Paarlaufwunders, der geheimnisumwitterte Yao Bin. In den 70er Jahren hatte er sich im Fernsehen die ersten Figuren von russischen Paaren abgeschaut, 1980 nahm er als erster Chinese an Eiskunstlauf-Weltmeisterschaften im Paarlauf teil und wurde Letzter. Sein Ziel ist es, die russischen Paare zu schlagen, die seit 1960 Olympia dominiert haben. Allzu viel Rücksicht nimmt der er dabei offensichtlich nicht auf seine Athleten. Es kursieren Geschichten von viel Drill im Training, von Läufern, die mit blutigen Füßen aufs Eis geschickt werden, davon, dass Schmerzen verboten sind. Angesichts der Bilder aus Turin glaubt man das unbesehen.

Christiane Mitatselis

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