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Einkaufen am Sonntag: Zu offen

Längere Ladenöffnungszeiten haben sich nicht wirklich bewährt. Das zeigen stagnierende Umsätze und Jobzahlen im Einzelhandel. Eine Ausweitung der Öffnungszeiten auf den Sonntag ist zudem verfassungswidrig.

Dass der Kauf von Schuhen für manche Frau – und für den einen oder anderen Mann – einer religiösen Handlung gleichkommt, gibt noch keinen Anlass für gesellschaftliche Besorgnis. Aber was ist, wenn der Erwerb eines, sagen wir, Schraubenziehers im Baumarkt oder eines Liters Frischmilch im Discounter am Sonntag in Deutschland nicht möglich sein sollte? Wäre das schlimm? In Berlin hat man diese Frage mit Ja beantwortet. Einkaufen bis zum Umfallen – an vielen Sonntagen geht das in der Hauptstadt, auch an den vier Adventssonntagen will der Senat großzügig die Ladentüren öffnen. Die totale Liberalisierung ist ein Gebot der Vernunft und bringt Jobs, verheißen Wirtschaft und Einzelhandel seit Jahren, und eine Stadt wie Berlin will schließlich Touristen anziehen in der Weihnachtszeit.

Doch überzeugen die Argumente wirklich? Schon die – richtige – Teilliberalisierung des Ladenschlusses hat dem Einzelhandel weder höhere Umsätze noch mehr Jobs beschert. Damals ging es um einfache gesetzliche Regelungen, die die jeweiligen Länder umsetzen konnten. Die Sonntagsöffnung dagegen ist ein Angriff auf ein von der Verfassung verbrieftes Recht für alle. Im Grundgesetz-Artikel 140 heißt es ausdrücklich: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erbauung gesetzlich geschützt.“ Dieser Schutz bildet auch die Grundlage für gesetzlich verpflichtende Zuschläge für all diejenigen, die trotzdem arbeiten müssen – ob Krankenschwestern, Polizisten oder auch Journalisten.

Wer diesen Schutz aufgeben möchte, braucht gute Argumente und muss die Verfassung ändern. Die Berliner Kirchen haben deshalb völlig recht, wenn sie ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung nachkommen und das Anrecht auf diese „seelische Erbauung“ mit allen Mitteln verteidigen. Die Frage ist dabei nicht, ob ein Kirchgänger von einem geöffneten Kaufhaus davon abgehalten wird, den Gottesdienst zu besuchen. Das soll jeder halten, wie er will, eine völlige Abschaffung der verkaufsoffenen Sonntage strebt die Kirche nicht an. Wie die Gesellschaft jedoch mit dem Trend der zunehmenden Ökonomisierung aller Lebensbereiche umgehen soll, ist eine Frage, die die Kirchen stellen müssen. Was sind uns Milch und Schraubenzieher wirklich wert?

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