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Ein Zwischenruf zu …: Staat und Religion

Als kürzlich ein junger Deutscher zum Islam konvertierte, fragten seine Freunde: „Wieso willst du jetzt Türke werden?“ Das ist nur ein Beispiel dafür, dass wir als Gewohnheitschristen oder als Religionslose oft gar nicht verstehen, was sich kulturell unter unseren Augen verändert, weil aus unserer Sicht Religion und Kultur noch immer zusammengehören wie Pech und Schwefel.

Als kürzlich ein junger Deutscher zum Islam konvertierte, fragten seine Freunde: „Wieso willst du jetzt Türke werden?“

Das ist nur ein Beispiel dafür, dass wir als Gewohnheitschristen oder als Religionslose oft gar nicht verstehen, was sich kulturell unter unseren Augen verändert, weil aus unserer Sicht Religion und Kultur noch immer zusammengehören wie Pech und Schwefel. Wer zum Islam übertritt, so eine verbreitete Sicht, der wechselt auch seine Kultur. Warum glauben das die meisten? Weil es bis vor einigen Dekaden ja so zu sein schien, jedenfalls oberflächlich betrachtet: Länder, manchmal ganze Kontinente waren charakterisiert durch eine Religion, eine Kultur, eine Nationalität. Nun aber ist vieles anders, seit der Säkularisierung, seit den globalen Arbeitskräftewanderungen, dem omnipräsenten Internet und der Achtung der Menschenrechte. Was eingewanderte Menschen glauben, wird heute im Aufnahmeland weder verboten noch muss es sich gewaltsam gegen traditionelle Religionen behaupten. Was sich jetzt abspielt, ist zwar weniger dramatisch als früher, aber auch nicht ganz harmlos.

Was der junge Konvertit mit seiner Bekehrung auch deutlich macht, ist, dass sich die Verbindung zwischen Religiosität und Kultur (in diesem Fall der deutschen) aufgelöst hat. Das gilt auch für manche Muslime, die mit ihrer Herkunftssprache und -kultur nichts mehr anfangen können. Was für sie zählt, ist der „reine Glaube“, entlastet vom kulturell-geschichtlichen Interpretationsballast und von traditionellen Strukturen wie Kirchen. Deshalb gehören so unterschiedliche Gruppen wie beispielsweise die „Pfingstler“ (sie beten in keiner landesbeheimateten Sprache miteinander, sondern in Zungenlauten) genauso dazu wie Evangelikale, Mormonen oder Salafisten. Fast alle tief fromm, doch häufig nichts wissend vom geschichtlichen Religionskontext. Von einer Wiedergeburt der traditionellen Religionen kann daher keine Rede sein. Aber von religiöser Selbstverwirklichung und Abgrenzung vom Mainstream. Die potenziellen Gefahren: Für solche Frommen stehen die Schwestern und Brüder im Glauben oft an erster Stelle, während die Gesellschaft wenig zählt, manchmal gar nicht. Aktiv handeln als Staatsbürger und gläubig sein, das kriegen einige nicht auf die Reihe. Also ein Fall für den Verfassungsschutz? Lächerlich! Schroffe Zurückweisung bestätigt nur ihren Weg der Trennung. Vertrauen entsteht, wenn Staat und Religion noch säuberlicher auseinandergehalten werden und allen, ja, allen Glaubensgemeinschaften die gleichen Rechte zustehen. So wächst Bindung an die hiesige politische Kultur.

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