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Eltern und Schule: Kümmert euch nicht

Wenn Spitzenleistung zur Durchschnittsnorm wird, entfaltet sich ungeheurer Druck und notwendige Enttäuschung greift Platz. Gelassenheit muss nicht Gleichgültigkeit sein. Man kann Kinder auch lieben, indem man für sie da ist, ohne sich um sie zu kümmern.

Ach, Eltern. Ein zutiefst natürlicher Zustand ist fragwürdig geworden, seit er offenbar nicht mehr so natürlich ist. Es reicht eben nicht mehr, dem Kind Frühstück zu machen und es in Schuhen, Hose und Pullover auf die Straße zu schicken. Die Ansprüche sind gewachsen. Eltern sind Teil einer komplexen Sozialmechanik geworden, bei der Schule, Ärzte und Ämter ineinandergreifen, geschmiert und am Laufen gehalten von Politik, Gesellschaft und Medien, die jede Alterskohorte mit neuen Erwartungen befrachten. Aus dem Kind muss ja was werden. Man kritisiert und belehrt, schiebt sich Schuld zu, wenn etwas schiefläuft. Und weil immer etwas schiefläuft, ist es kein Wunder, wenn Umfragen jetzt zeigen: Lehrer möchten bessere Eltern.

Mal ehrlich, wer möchte das nicht? Am meisten möchten es wohl Eltern selbst. Möglich aber, dass dieser Wunsch mehr Teil des Problems ist als Teil der Lösung. Was Eltern also tun könnten, bevor sie anfangen sich zu rechtfertigen, wäre, einen Schritt zurückzutreten und über die Rolle nachzudenken, die ihnen zugeschrieben wird und die sie so gut wie möglich ausfüllen wollen. Das könnte den Blick dafür weiten, dass wir tatsächlich manchmal bessere Eltern brauchen; dass es aber auch wünschenswert wäre, wenn manche wieder den Mut fänden, schlechtere Eltern zu sein. Sie würden von ihren Kindern dringend gebraucht.

Die guten Eltern sind gefordert, wo wenig Geld, Bildung und sozialer Halt die Chancen auf den Start ins Leben verkürzen. Dort müssen sie helfen und ausgleichen. Statt ihre Mühen zu würdigen, ist immerfort die Rede davon, ihnen seien die Kinder egal, statt Kita und Bücher gäbe es nur Glotze und Bier. Vermutlich tut man den meisten unrecht. Auch arme Leute lieben ihre Kinder, und wer Wärme, Witz und Nähe sucht, kann dort schneller fündig werden als in polierten Bürgerhaushalten. Wer in unteren Schichten bessere Eltern wünscht, könnte in die guten Eltern Vertrauen zeigen, um den weniger guten aufzuhelfen, und sei es durch ein paar Euro staatlicher Hilfe mehr statt durch Bildungspakete, die doch wieder nur eine Botschaft haben: Ihr seid schlecht und ihr bleibt es.

Wo aber braucht man schlechtere Eltern? In den akademisch geprägten Mittelschichten, so viel steht fest, sind die Nöte gering und die Sorgen im Verhältnis groß. Die Gründe sind vielfältig, wichtig ist, welchen Reflex diese Diskrepanz auf die Kinder haben kann. Sie sollen, im Zweifel, immer noch besser sein. Bessere Kleinkinder (kann schon reden), bessere Schüler (kann Mathe), bessere junge Erwachsene (kann Studium) und am Ende, das sind sie einem schuldig, bessere, ja, die besten Eltern (können alles).

Wenn Spitzenleistung zur Durchschnittsnorm wird, entfaltet sich ungeheurer Druck und notwendige Enttäuschung greift Platz. Es können nicht alle super sein, weder Kinder noch Eltern, und Lehrer auch nicht. Aber weil alle es trotzdem immerzu versuchen, steigen die Ansprüche an Personal und Institutionen. Kinder, die kaum Mama sagen können, sollen in der Kita Englischvokabeln brabbeln, und die Schule soll später alles sein, Karriereschmiede und Sozialstation, Waisenhaus und Universität.

Mittendrin: die Eltern, Treibende und Getriebene. Weil angesichts der hochgeschraubten Erwartungen der Störfall zum Normalfall wird, wappnet und wehrt man sich allerorten. Lehrer schicken Eltern zum Kinderpsychiater, um sich von Erziehungsfragen zu entlasten, Eltern rufen nach dem Rechtsanwalt, weil ihnen die Bildungswege ihrer Kinder nicht nach Plan geebnet werden; Schulhofschweinereien heißen Cybermobbing und werden von Staatsanwälten untersucht. Eine Dynamik, die immer mehr Ebenen beschäftigt, die aber die eigentlichen Konflikte, Fragen und Nöte auslagert und zu Therapie- und Rechtsproblemen umformt. Antworten gibt es dann meist nicht, nur ein gutes Gewissen für die Beteiligten.

Was lernt man von schlechten Eltern? Gelassenheit muss nicht Gleichgültigkeit sein. Man kann Kinder auch lieben, indem man für sie da ist, ohne sich um sie zu kümmern. Und wenn das Kind nicht, wie man’s gern hätte, spricht, springt, spielt, singt, flötet, liest und betet – es könnte daran liegen, dass es ein Kind ist.

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