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Energie: Vertrauen ist wie Gas – flüchtig

Bei Energielieferungen darf die EU von Russland und der Ukraine nicht abhängig bleiben.

Seien wir ehrlich: Niemand kann im Moment zuverlässig sagen, ob die Unter brechungen bei der Gasversorgung Westeuropas auf das Konto Russlands oder der Ukraine gehen. Das eine ist so denkbar wie das andere. Beide hätten Motive – und deshalb können durchaus auch beide schuld an der Misere sein. Ob der Besuch von Wladimir Putin bei Bundeskanzlerin Angela Merkel da mehr Klarheit bringt, muss man bezweifeln.

Kiew und Moskau schieben sich gegenseitig die Verantwortung für die Erpressung ihrer westlichen Abnehmer zu. Das vereinfacht die Ansätze für eine Lösung nicht. Die neutralen Beobachter, die eigentlich den ungehinderten Gasfluss überwachen sollten, wurden sowohl von ukrainischen als auch von russischen Stellen bei der Arbeit behindert. Das kann ein Indiz dafür sein, dass die Ukraine ent gegen ihrer offiziellen Darstellung eben doch aus den für Westeuropa bestimmten Gasmengen Anteile für den eigenen Bedarf abzweigt. Dass Gasprom, der russische Monopollieferant, den wertvollen Brennstoff Richtung ukrainisches Netz willkürlich dosiert, durfte man schon aufgrund der Moskauer Verhandlungsstrategie annehmen. Die war durch die perfide Taktik bestimmt, den geforderten Preis Schritt um Schritt zu erhöhen, sobald die Ukraine sich unbotmäßig zeigte.

Auffallend ist die starke Ab hängigkeit früherer sozialistischer Staaten vom russischen Erdgas. Mit der Slowakei, Bulgarien, Tschechien, Ungarn und Slowenien sind fünf EU-Staaten betroffen, Bulgarien besonders empfindlich. Die Mitgliedschaft dieser Länder in der Europäischen Union ist Russland ein Dorn im Auge. Mehr noch reizt Moskau aber die Westwendung früherer GUS-Staaten wie Georgien, Aserbeidschan und der Ukraine. Der Verdacht liegt nahe, dass Russland die Energie lieferungen als Druckmittel gegen eine zu starke nationale Eigenständigkeit all dieser Länder oder gar als Strafe dafür einsetzt. Wenn die Menschen frieren, die Wirtschaft zusammenbricht und Russland, ganz uneigennützig, Abhilfe anbietet, hat das selbstverständlich disziplinierende Wirkung. Und der Wink mit dem Zaunpfahl Richtung Westeuropa ist auch unübersehbar: Baut mit uns die Ostseepipeline, so die Botschaft, dann seid ihr nicht mehr von der unberechen baren Ukraine abhängig.

Was tun? Hilfreich, aber nicht unproblematisch wäre der Bau der „Nabucco“-Leitung vom Kaspischen Meer nach Südeuropa. In ihr würde Erdgas aus Aserbaidschan Richtung Westen gepumpt. Der Beginn der Pipeline läge aber im iranischen Einflussgebiet. Versorgungssicherheit buchstabiert man anders. Westeuropa wird also um ei ne stärkere Diversifizierung der Lieferwege und der Energieträger nicht herumkommen.

Zunächst müssten die südeuropäischen Staaten möglichst schnell so mit dem nordeuropäischen Gasnetz verbunden werden, dass sie dem unmittelbaren Erpresser zugriff entzogen sind. Dann müss te die Zahl der Tiefwasserhäfen, in denen Flüssiggastanker entladen werden können, vergrößert werden. Ob man diese konzertierte Aktion dann, wie die Polen das gerne tun, als Energie-Nato oder anders bezeichnet, ist zweitrangig. Entscheidend wäre das Signal Richtung Russland und Ukraine, dass sich die EU nicht in Partner erster und zweiter Klasse auseinander dividieren lässt.

Gerd Appenzeller

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