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Kanzlerin Angela Merkel beim Besuch des Kernkraftwerks in Lingen.

© ddp

Energiekonzept: Atomkraft und Merkels Laufzeit

Die Atomkraft rechnet sich für die Betreiber, sonst für niemanden. Die Laufzeiten sind ausgekungelt worden, bevor die Bundesregierung ihr Energiekonzept vorlegt hat, dabei müsste es doch andersherum sein. Ein Kommentar.

Eine „Revolution der Energieversorgung“ nennt die Bundeskanzlerin den Atombeschluss. Die längeren Laufzeiten für eine in die Jahre gekommene Großtechnologie – selbst die jüngsten Meiler sind schon mehr als zwei Jahrzehnte am Netz – kann sie kaum gemeint haben. Revolutionär ist eher die Art, wie der nächtliche Beschluss zustande kam. Gegen Ende der Verhandlungen ließ Angela Merkel die Details telefonisch von den Chefs der vier großen Energiekonzerne abnicken. Wenn das die Revolution war – wer regiert dann eigentlich?

Im Schnitt, heißt es, sollen die Meiler zwölf Jahre länger laufen. Die Zahl klingt kleiner, als sie ist, denn die Betreiber können wie Hütchenspieler Strommengen von stillgelegten Reaktoren auf neuere übertragen, und so ist vermutlich erst Mitte des Jahrhunderts Schluss. Wenn überhaupt. Da der einst einmütig ausgehandelte Ausstiegsvertrag nur zehn Jahre Bestand hatte, kann man damit rechnen, dass die Energiewirtschaft auch die neuen Fristen bald zu knapp findet.

So ist die technologische Brücke, von der die Kanzlerin gerne spricht, eine, bei der das andere Ufer noch lange im Nebel liegt. Die Grundwidersprüche der Atomkraft bleiben bestehen: Sie soll länger genutzt werden, obwohl Störfälle so immer wahrscheinlicher werden und es kein Endlager für radioaktiven Abfall gibt.

Doch in den Verhandlungen ging es nur am Rande um existenzielle Fragen, hauptsächlich aber um Geld. Das Öko-Institut in Freiburg schätzt den monetären Wert des Beschlusses auf 76 Milliarden Euro – bei konstanten Strompreisen. Steigen sie moderat, sei von 127 Milliarden Euro auszugehen. Selbst die Landesbank Baden-Württemberg, keine Bastion grünen Denkens, schätzt den Wert einer Laufzeitverlängerung von nur zehn Jahren auf bis zu 90 Milliarden Euro.

Fifty-fifty wolle man die zusätzlichen Profite mit den Unternehmen teilen, hatte Wirtschaftsminister Rainer Brüderle gesagt, aber der Staat hat mit den 30 Milliarden Euro, die er angeblich einnimmt, den Kürzeren gezogen. Weil die Konzerne ihre Zahlungen auch noch von der Steuer absetzen können, schrumpft der staatliche Anteil weiter. Und wenn man dann noch Steuergelder gegenrechnet, die über Jahrzehnte in die Atomwirtschaft geflossen sind, dann hat der Staat ein verdammt schlechtes Geschäft gemacht. 165 Milliarden Euro waren es laut einer für Greenpeace erstellten Studie.

Die Atomkraft rechnet sich für die Betreiber, sonst für niemanden. Die Laufzeiten sind ausgekungelt worden, bevor die Bundesregierung ihr Energiekonzept vorlegt hat, dabei müsste es doch andersherum sein. Noch findet sich auf der Website des Bundesumweltministeriums eine „Roadmap Energiepolitik“, in der es unter anderem heißt: „Deutschland kann auf die Atomkraft gut verzichten. Die Versorgungssicherheit wird dadurch nicht gefährdet.“ Der Satz, keine zwei Jahre alt, soll grundfalsch sein, nur weil die Regierung gewechselt hat? Seriös ist das nicht.

Merkel hat der Wirtschaft schon 2005 im Wahlkampf längere Laufzeiten versprochen, aber in der Koalition mit der SPD nicht realisieren können. Nun hält sie Wort. Aber sie zementiert dabei nicht nur die Macht der Stromkonzerne, sondern auch die politischen Lager. Zur Erbmasse der Grünen gehört der Ausstieg. Damit ist Schwarz-Grün im Bund vorerst ausgeschlossen. Die FDP kann sich als Sieger fühlen. Doch weil die Koalition eine so umstrittene Technologie ohne Not stärkt und Großkonzernen Milliarden zuschachert, könnte das am Ende ihre eigene Laufzeit beschränken.

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