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Menschen in Japan demonstrieren gegen die Atomkraftpläne ihrer Regierung.

© REUTERS/ISSEI KATO

Zwölf Jahre nach Fukushima: Japan will nun doch zurück zur Atomkraft

Vor zwölf Jahren löste am 11. März ein schweres Erdbeben die Atom-Katastrophe in Fukushima aus. Wie sehr prägt das Unglück Japan noch heute?

Ein Gastbeitrag von Sven Saaler

Wenn Japan es in die Schlagzeilen schafft, heißt das oft leider nichts Gutes. So war es auch im März 2011, als die Welt gebannt auf Fukushima schaute, wo nach einem Erdbeben und Tsunami ein Atomreaktor nach dem anderen explodierte.

Am 11. März 2011 schaute die Welt auf Japan. Nach einem schweren Seebeben rollten gigantische Flutwellen auf den Nordosten des Landes zu. Sie verwüsteten Städte und Dörfer, bis sie schließlich auf das Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi trafen. Ein Atomreaktor nach dem nächsten explodierte. In drei Reaktorblöcken kam es zur Kernschmelze, große Mengen radioaktiver Strahlung wurden freigesetzt. Bis zu 150.000 Menschen mussten evakuiert werden.

Japans Bevölkerung war geschockt, hatte sie sich doch nach jahrzehntelanger Indoktrinierung mit dem Slogan „100 Prozent sichere Atomkraft“ eher wenig Gedanken über die Risiken von Kraftwerken gemacht. Wie auch in anderen Ländern hatte die Energielobby viel Geld und Mühen investiert, ein positives Bild der Atomkraft zu zeichnen. Nach der Fukushima-Katastrophe war Schluss damit: Die Bevölkerung wollte von Kernenergie nichts mehr wissen. Nun, zwölf Jahre nach dem Unglück, kommt es zu einem Umdenken.

Nie mehr als zehn AKW gleichzeitig am Netz

Dabei reicht das Misstrauen tief: Nicht nur die Explosionen in Fukushima bestürzten die Japaner, sondern auch die darauffolgende Geheimniskrämerei seitens der Betreiberfirma Tokyo Electric Power Co. (TEPCO). Über die Vorgänge in den Meilern drangen kaum Details nach außen. Selbst der Besuch von Premierminister Naoto Kan im TEPCO-Hauptquartier, während dessen es zu höchst kontroversen Diskussionen gekommen sein soll, änderte daran nichts.

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Reaktoren von insgesamt 54 gelten heute noch als einsatzbereit.

Über die Vorgänge in den Meilern drangen kaum Details nach außen. Selbst der Besuch von Premierminister Naoto Kan im TEPCO-Hauptquartier, während dessen es zu höchst kontroversen Diskussionen gekommen sein soll, änderte daran nichts.

In der Folge verlor die Bevölkerung nicht nur das Vertrauen in die Regierung der Demokratischen Partei Japans (DPJ), die ein Jahr später abgewählt wurde, sondern auch in die Atomkraft insgesamt. In Meinungsumfragen sprach sich mehr als zehn Jahre lang eine deutliche Mehrheit für einen Ausstieg aus der Atomkraft aus, wenn auch nicht unbedingt einen sofortigen.

Die Regierung musste dem Rechnung tragen und verschärfte die Sicherheitsbestimmungen für Atomkraftwerke. Dies führte dazu, dass von den 54 Reaktoren, die bis März 2011 circa ein Drittel des Strombedarfs deckten, stets nur einige wenige in Betrieb genommen werden konnten. Nur noch 33 der 54 Reaktoren gelten heute noch als einsatzbereit, zu keinem Zeitpunkt waren seit 2011 mehr als 10 davon gleichzeitig am Netz.

Präfekturen müssen Atomkraft zustimmen

Dies liegt nicht nur an den verschärften Sicherheitsbestimmungen und der Anti-Atom-Stimmung in der Bevölkerung, sondern auch an Widerständen in vielen Regionen. Abgesehen von Regierung und nationaler Regulierungsbhörde muss auch die Präfektur sowie die Gebietskörperschaft, in dem ein AKW angesiedelt ist, den Neustart eines Reaktors genehmigen.

In sechs von 15 AKWs gibt es bis heute keine Evakuierungspläne für den Ernstfall.

Sven Saaler

Vor Fukushima war das selten ein Problem, weil die betreffenden Ortschaften meist in strukturschwachen Regionen liegen und von der Energieerzeugung massiv profitierten. Inzwischen hat sich die Risiko-Nutzen-Empfindung verschoben und in vielen Regionen dominieren ablehnende Haltungen. Eine stärker werdende Anti-Atomkraft-Bewegung tut ihr Übriges dazu bei, den Betreibern ihr Geschäft zu erschweren.

Und trotzdem: In sechs von 15 AKWs gibt es bis heute keine Evakuierungspläne für den Ernstfall. Manche Reaktoren liegen in dicht besiedelten Gebieten, wo die Evakuierung von bis zu einer Million Menschen kaum realistisch ist. Die überparteiliche Parlamentariergruppe „Zero Nukes“ betont außerdem, dass einige Reaktoren an bekannten tektonischen Spalten liegen und damit besonders gefährdet sind.

Knappe Mehrheit nun doch für Atomkraft

Die von Russlands Überfall auf die Ukraine ausgelöste weltweite Energieknappheit hat das Stimmungsbild in Japans Gesellschaft allerdings verändert. Anfang 2023 sprach sich erstmals eine knappe Mehrheit für die weitere Nutzung von Atomkraft aus. Am 10. Februar gab die Regierung bekannt, die Laufzeiten für Reaktoren auf über 60 Jahre zu verlängern.

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Außerdem erklärte Premierminister Kishida als erster Regierungschef seit 2011, dass er auch den Neubau von Atomkraftwerken nicht ausschließe. Die bisherige Diskussion war auf die Frage der Restlaufzeiten der existierenden Reaktoren beschränkt, der Verzicht auf Neubauten hätte aber in jedem Fall einen wenn auch zögerlichen Ausstieg aus der Atomkraft bedeutet.

Ebenso wie Deutschland ist Japan fast vollständig von Energieimporten abhängig. Die Verteuerung von Energieimporten hat in den letzten Monaten Japans Außenhandel in die roten Zahlen getrieben. Außerdem sind die Strompreise für die Verbraucher wie auch anderswo massiv gestiegen.

Vor dem Hintergrund weiterhin sinkender Einkommen im Januar 2023 gingen die durchschnittlichen Einkommen vier Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurück sowie einer Inflation von drei bis vier Prozent sehen viele Verbraucher sich genötigt, nolens volens der Nutzung von Atomkraft zuzustimmen.

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