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Dampfende Schlote. In Deutschland betreiben vor allem RWE und Vattenfall Kohlekraftwerke.

© dpa

Energiewende: Angst um die Kohle

Sigmar Gabriels Klimaabgabe kommt bei den Gewerkschaften gar nicht gut an. Der Minister muss erklären, was seine Energiepolitik für Braunkohle-Reviere bedeutet. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Alfons Frese

Zwei Herzen schlagen in Frank Bsirskes Brust. Mindestens. Der einzige Grüne unter den hiesigen Gewerkschaftsführern findet Umwelt- und Klimaschutz natürlich gut. Als Vorsitzender einer Zwei-Millionen-Mitglieder-Gewerkschaft und Aufsichtsrat der RWE AG hat Bsirske indes eine andere Rolle zu spielen: Der Arbeiterführer verteidigt Arbeitsplätze. Zu Ostern hat der Verdi- Chef beim Blick in die Glaskugel eine furchtbare Entdeckung gemacht – 100 000 Arbeitsplätze sind bedroht, wenn Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel seine Pläne umsetzt und alte Kraftwerke mit einer Abgabe so belastet, dass sie womöglich nicht mehr wirtschaftlich arbeiten können. Damit wäre auch Gabriel dem „süßen Gift des Klimapopulismus erlegen“, wie Michael Vassiliadis meint, Vorsitzender der IG Bergbau, Chemie, Energie und mindestens ebenso alarmiert wie Bsirske.

Gabriel versucht zu beschwichtigen

Gabriel bemüht sich um Beschwichtigung. In einem langen Brief an Betriebsräte in der Energiewirtschaft erklärt er seinen Ansatz: Im vergangenen Jahr hätten die fossilen Kraftwerke hierzulande 349 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2) emittiert; bis 2020 sinkt dieses Dreckvolumen um 37 Millionen, weil Kraftwerke stillgelegt oder effizienter werden. Weitere 22 Millionen Tonnen will Gabriel mithilfe einer Abgabe auf alte Kraftwerke erreichen. „Wir haben einen Vorschlag vorgelegt, der rund 90 Prozent der konventionellen Stromerzeugung nicht belastet!“, schreibt Gabriel. Was also soll der ganze Lärm?

RWE und Vattenfall sind die größten Kraftwerksbetreiber

Die Braunkohle aus der Lausitz und dem rheinischen Revier ist der einzige fossile Brennstoff, über den die Bundesrepublik in größerem Umfang verfügt; im Wesentlichen sind es RWE im Westen und Vattenfall im Osten, die Tagebaue und Kraftwerke betreiben. Braunkohle ist aber der schmutzigste Brennstoff, er belastet das Klima fast doppelt so stark wie Gas. Die Kohle ist preisgünstig und wird vermutlich noch gut 20 Jahre gebraucht, denn gleichzeitig aus der Atomkraft und aus der Kohle aussteigen ist nicht möglich, ohne den Strompreis explodieren zu lassen und die energieintensiven Betriebe in der Industrie kaputt zu machen.

Der Minister spricht von einer Quadratur des Kreises

Gabriel hat sich nun – in enger Abstimmung mit Angela Merkel – für eine kleine Attacke auf die Kohle entschieden, um die Klimaziele zu erreichen. Was das konkret für einzelne Reviere, Tagebaue, Kraftwerke und schließlich Arbeitsplätze bedeutet, ist nicht abzusehen. Auch deshalb nicht, weil die Energiepolitik insgesamt so zuverlässig ist wie das Wetter im April. Gabriel spricht von der „Quadratur des Kreises“, die er hinzubekommen versuche: Arbeitnehmer und Firmen nicht übermäßig mit hohen Strompreisen belasten und dennoch die CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent (gegenüber 1990) reduzieren. Als relativ saubere Brückentechnologie, bis Erneuerbare und vor allem auch Energiespeicher hinreichend vorhanden sind, wäre die Atomkraft am besten geeignet. Aber damit ist ja bald Schluss. Es bleiben dann nur Kohle und Gas – aus Russland.

Gabriel muss den Beschäftigten in den Braunkohle-Revieren die Angst nehmen

Gabriel hat den Ministerpräsidenten der Kohle-Länder Sachsen, Brandenburg und NRW zugesagt, an der Braunkohle festhalten zu wollen. Gewiss doch, aber wie? „Die Beschäftigten in der Lausitz und im rheinischen Revier haben schlicht Angst um ihre Arbeitsplätze“, weiß Gabriel. Es ist sein Job, ihnen die Ängste zu nehmen.

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