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Meinung: Entschieden wird hinterher

Die Wahl am Sonntag wird nur ein Erfolg, wenn die Iraker sich einigen und mehr Macht übernehmen

Die Wahl in Irak wird als Meilenstein, als Beginn des Neuanfangs beschrieben. Wenn es gelingt, sie trotz der mangelnden Sicherheit durchzuführen, wäre das auf jeden Fall ein logistischer Erfolg. Ob die Wahl auch ein Meilenstein der politischen Entwicklung wird, hängt davon ab, wie es danach weitergeht.

Das Hauptproblem des Landes, die fortschreitende Zersplitterung entlang ethnischer und religiöser Linien, kann die Wahl nicht lösen. Im Gegenteil, die Spaltung droht sich zu verfestigen, weil die sunnitische Minderheit nicht teilnehmen will oder kann. Ihre politische Vertretung, allen voran die Vereinigung Muslimischer Geistlicher, lehnt eine Wahl unter ausländischer Besetzung ab.

Allerdings hatte sie in Aussicht gestellt, von einem Boykott abzusehen, falls die USA zumindest einen Zeitplan für ihren Abzug in Aussicht stellen. Das ist nicht geschehen, der Boykott gilt. Das Ergebnis der ersten Wahl nach dem Sturz der Diktatur wird daher nicht repräsentativ sein.

Um diesen gravierenden Mangel auszugleichen, müssen die Wahlsieger, vermutlich die schiitischen Gruppen, große Weisheit an den Tag legen. Die gewählte neue Führung wird die endgültige Verfassung des Landes ausarbeiten. Ohne eine Beteiligung der Sunniten und ohne Berücksichtigung der Wünsche der anderen Minderheit, der Kurden, wird das Dokument keine allgemeine Anerkennung finden. Und den Zerfall Iraks in drei Mini-Staaten zementieren.

Bisher deutet alles darauf hin, dass der Wille zum nationalen Dialog vorhanden ist. Der Anführer der so genannten schiitischen Wahlallianz, Abd al Asis al Hakim, hat Sunniten Posten in der Regierung versprochen. Auf sunnitischer Seite haben sowohl die Vereinigung Muslimischer Geistlicher als auch die Islamische Partei, die beide zum Wahlboykott aufriefen, ihre Bereitschaft zur Kooperation in der Zeit danach signalisiert.

Allerdings gibt es noch große Hindernisse für einen solchen nationalen Schulterschluss: Für die Wahl haben sich die Schiiten geeint, religiöse und säkulare Vertreter, Pragmatiker und Radikale. Danach werden Differenzen auftreten, denn die Schiiten im Irak sind keine einheitliche politische Kraft.

Vor allem aber muss sich die neue Führung ernsthafter als die eingesetzte Übergangsregierung von der amerikanischen Vormundschaft frei machen. Die Wahl muss einen Bruch mit dem bisherigen Transformationsprozess darstellen, keine Kontinuität. Sonst werden die Radikalen gestärkt. Auch die relative Apathie der Masse der Bevölkerung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Misstrauen gegenüber den Intentionen der USA ein nicht mehr umkehrbarer Prozess ist.

Die neuen Institutionen könnten ihre Unabhängigkeit beweisen, indem sie Abkommen zwischen den USA und den bisherigen ernannten Interimsregierungen überprüfen. Dazu gehört eine offene Debatte über den Status der ausländischen Truppen und einen möglichen Zeitplan zu deren Abzug. Auch sunnitische Gegner der Militärpräsenz haben deutlich gemacht, dass es ihnen nicht um den sofortigen Abzug geht, sondern dass die Unklarheit über die US- Intentionen inakzeptabel ist.

Washington muss den undankbaren Job übernehmen, die irakischen Institutionen dabei zu unterstützen, sich zumindest teilweise von der US-Politik zu distanzieren. Symbolisch könnte dies damit beginnen, dass die US-Botschaft die direkte Nachbarschaft mit der irakischen Regierung in der grünen Zone aufgibt. Das wäre auch ein Mittel, um einen Keil zwischen die nationalistische Opposition und jene terroristischen Gruppen zu treiben, denen es ausschließlich darum geht, möglichst viel Zerstörung im Irak anzurichten, um die USA zu demütigen. Gelingt es nicht, die Wahl in diesem Sinn zu nutzen, bliebe sie nur ein Organisationserfolg.

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