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Meinung: Epo – vom Wundermittel zur Gefahr Mysteriöse Zwischenfälle

in der Biotech-Industrie

Von Alexander S. Kekulé

WAS WISSEN SCHAFFT

Die moderne Biotechnologie ist mit dem Versprechen angetreten, den Körper mit seinen eigenen Mitteln zu heilen – gentechnisch veränderte Bakterien und Zellkulturen sollen naturidentische Medikamente ohne Nebenwirkungen produzieren. Bislang sah es auch so aus, als verliefe die BiopharmaRevolution nach Plan: Zuckerkranke mussten sich früher aus Schweinen und Rindern gewonnenes Insulin spritzen, die allergischen Reaktionen gegen das fremde Hormon waren gefürchtet. Heute produzieren Bakterien menschliches Insulin, das vom Körper nicht mehr abgestoßen wird. Andere natürliche Wirkstoffe, wie die zur Behandlung von Leberentzündungen eingesetzten Interferone, können erst seit Einführung biotechnologischer Verfahren in ausreichender Menge produziert werden.

Jetzt zeigte ausgerechnet das als größte Erfolgsgeschichte der Biopharma-Branche gefeierte Erythropoietin (Epo) gefährliche Nebenwirkungen, die nicht in der Packungsbeilage standen. Warum das seit über zehn Jahren erfolgreich gegen Blutarmut verordnete Epo auf einmal verrückt spielt, weiß niemand. Sicher ist nur, dass der bislang als bestens verträglich geltende, naturidentische Wirkstoff neuerdings bei manchen Patienten vom Immunsystem angegriffen wird, als wäre es ein Bakterium oder ein Virus.

Natürliches Epo wird in der Niere produziert und stimuliert die Bildung roter Blutkörperchen im Knochenmark. Wenn dieses Hormon – etwa bei Dialysepatienten mit schweren Nierenschäden – teilweise ausfällt, kann die Blutbildung durch Gabe von gentechnisch hergestelltem Epo angeregt werden. Das Immunsystem kann jedoch offenbar sogar die Marke und den Herstellungsort des Wirkstoffes erkennen. In mindestens 175 Fällen trat mit dem in Costa Rica hergestellten „Eprex“ von Johnson & Johnson eine schwere Komplikation auf, bei der sich Antikörper bilden, die auch das körpereigene Epo angreifen: Die Produktion roter Blutzellen kommt vollends zum Erliegen, nur ständige Bluttransfusionen und eine baldige Nierentransplantation können das Leben der Patienten retten. Merkwürdigerweise traten die gefährlichen Nebenwirkungen mit in den USA produziertem Epo desselben Herstellers oder mit Konkurrenzprodukten fast nie auf, obwohl der Wirkstoff identisch sein müsste.

Seit Monaten forschen Herstellerfirma und Arzneimittelbehörden nach der Ursache der mysteriösen Zwischenfälle. Verdächtigt wurden etwa Silikonverunreinigungen der mitgelieferten Spritzen oder Umstellungen im Produktionsprozess bei der Anlage in Costa Rica. Auch unzureichende Kühlung bei Zwischenhändlern, wurde in Betracht gezogen – bislang jedoch ist die Ursache der Komplikationen vollkommen unklar.

Derweil versuchen die großen Biopharma-Hersteller, die Panne auszuschlachten. Mit Blick auf auslaufende Patente argumentieren sie, dass Biopharmaka nicht wie andere Wirkstoffe gefahrlos von Billigproduzenten kopiert werden könnten. Deshalb müssten Generika-Hersteller die gesamte Zulassungsprozedur einschließlich klinischer Prüfungen durchlaufen, bevor sie ein nicht mehr patentgeschütztes Mittel verkaufen dürfen. Der Versuch, mit dem „Eprex"-Fall die Preise der Biopharmaka weiter hoch zu halten, könnte allerdings nach hinten losgehen: Die Zwischenfälle passierten nicht bei irgendeinem Billighersteller, sondern bei der drittgrößten Pharmafirma der USA.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Mikrobiologie an der Uni Halle. Foto: J. Peyer

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