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Meinung: Er ist wieder wer

CSU-Chef Edmund Stoiber will zum zweiten Mal Angela Merkels Schicksal sein

Von Robert Birnbaum

Als Edmund Stoiber vor Jahresfrist Berlin fluchtartig den Rücken kehrte und daran fast zugrunde ging, gab es in der Schwesterpartei CDU einige, die aufatmeten: Endlich sind wir ihn los. Selten war ein Seufzer der Erleichterung so voreilig. Selten auch war eine Einschätzung so grundfalsch wie die, dass die CSU in Zeiten der großen Koalition zur Randnotiz herabsinken würde. Das Gegenteil ist der Fall. Stoiber ist auf dem Weg, zum zweiten Mal und gründlicher als je zuvor zu Angela Merkels Schicksal zu werden.

Der Sachverhalt ist rasch rekapituliert. Stoiber hat die Gesundheitsreform vom ersten Tag bis zur letzten Nacht mitverhandelt. Er hat im entscheidenden Moment verhindert, dass sich Merkel und die SPD auf mehr Steuern für die Gesundheit verständigen. Jetzt stellt er den Kompromiss in Frage und meldet bayerische Sonderwünsche an. Dass Stoiber stets Heckenschützenhilfe von anderen CDU-Länderfürsten bekommt, ändert nichts an seiner zentralen Rolle: Ohne den Resonanzverstärker Bayern wäre ein Zwischenrufer wie Peter Müller von der Saar bedeutungslos.

Wer sich nun fragt, was Stoiber treibt, ist schnell versucht, aufs Menschlich-Allzumenschliche zu tippen. Aber alter Groll auf die Ex-Rivalin spielt höchstens eine Nebenrolle. Auch die Tatsache, dass die CSU Merkels Gesundheitsreform à la Kopfpauschale einst bis zur Selbstzerfleischung der Union bekämpft hat, ist letztlich nicht entscheidend. Selbst Charakterfragen bilden bloß einen Randaspekt. Der Grund für Stoibers Verhalten ist nüchterner. Es ist die direkte Folge der Flucht aus Berlin.

Stoiber hätte den Rückzug damals fast nicht überlebt. Die CSU verzeiht ihren Chefs vieles, den Anschein der Feigheit aber nicht. Nur die Schwäche seiner Rivalen und ein Werbefeldzug durch jeden bayerischen Kreisverband, der wie eine feindliche Burg zurückerobert werden musste, haben Stoiber gerettet. Damals wurde eine Strategie geboren: „Bayern geht vor.“ Stoiber versprach seinen Bayern, sich mit aller Kraft nur noch für sie einzusetzen, wenn sie ihn dafür wieder lieb haben. An sich kein ganz neuer Ansatz. Aber weil er aus Schwäche geboren ist, hat er eine neue Qualität. Denn mit der Flucht aufs Land geht ein bewusster Abschied von Verantwortung für den Bund einher. Lange nichts mehr vom „Reformmotor CSU“ gehört? Eben.

Die Folge für die große Koalition ist fatal. Wenn der bayerische Ministerpräsident nicht einhält, was der CSU-Vorsitzende zugesagt hat, und dabei auch noch auf Applaus daheim zählen kann, stellt das die innere Geschäftsfähigkeit der Koalition in Frage. Dass Merkel das jüngste Krisengespräch zur Gesundheitsreform mit SPD-Chef Kurt Beck allein führte, ohne den Bayern, war Ausdruck dieser Situation. Mehr als eine Geste war es aber nicht, eine hilflose obendrein. Sie können den Bayern ja nicht ab jetzt in die Besenkammer sperren, wenn es ernst wird. Außerdem braucht niemand einen Stoiber und seine CSU mehr als die Kanzlerin der großen Koalition. Mit ihm kann sie nur schwer regieren. Ohne ihn aber gar nicht.

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