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Meinung: Erbe wider Willen

Thema der Flick- Kontroverse ist nicht der Enkel, sondern die NS-Verstrickung der Wirtschaft

Nun hat die Kontroverse um die Berliner Präsentation der „Friedrich-Christian- Flick-Collection“ den Bezirk der Kunst vollends verlassen. Alle Versuche, zwischen der Kunstsammlung und der Familiengeschichte des 60-jährigen Wahlschweizers eine deutliche Trennlinie zu ziehen, sind gescheitert. Dass Bundeskanzler Gerhard Schröder am heutigen Dienstagabend höchstpersönlich zur Eröffnung der Flick-Sammlung unter der Obhut der Staatlichen Museen Berlin sprechen will, macht den Vorgang zu jener politischen Angelegenheit, die die Gegner der Flick-Leihgabe von Anfang an in ihr gesehen haben.

Freilich ein wenig anders, als die Gegner – Zentralratsvize Salomon Korn ist nur ihr prominentester – behaupten. Denn die direkte Verbindung, die diese zwischen dem Industrieimperium des mit den Nazis wirtschaftlich verbandelten Großvaters Friedrich Flick und dem Vermögen seines Enkels Friedrich Christian herstellen, ist in jeder Hinsicht kurzschlüssig. Verantwortung ja, persönliche Schuld nein: Dieses Bekenntnis zur Last seiner Familiengeschichte hat der Enkel früh abgelegt – und lange, bevor die Wucht der „Blutgeld“-Anwürfe über ihn hereinbrach. Darin ist ihm uneingeschränkt zuzustimmen, so, wie es mit Heinz Berggruen oder Michael Blumenthal prominente Vertreter der jüdischen Bürgerschaft getan haben. Sippenhaft darf es nicht geben. Die Verbrechen bei der Beschäftigung Zehntausender von Zwangsarbeitern, derer sich der Großvater schuldig gemacht hat, kann der Enkel nicht sühnen.

Da kommt die andere, von der Person losgelöste Seite dieser unseligen Erbschaft in den Blick: die, die Deutschland als Ganzes betrifft. Nicht der Enkel hat für die Untaten des Großvaters einzustehen, und schon gar nicht aus dem einzigen Grund, weil er zum Kunstfreund geworden ist und die Öffentlichkeit an seiner Sammlung teilhaben lassen will. Das Erbe der Nazi-Zeit ist der Nachkriegsgesellschaft insgesamt zugefallen: der bundesdeutschen in der Zeit der Teilung allein, weil sich die DDR per definitionem als „antifaschistisch“ salviert wähnte, und der wiedervereinigten, gesamtdeutschen Nation seit 1990. Um dieses Erbe geht es oder, besser gesagt, müsste es gehen, führten die Flick-Gegner nicht einen derart verbissenen Stellvertreterkrieg.

Das unternehmerische Geschick des alten Flick wird man dabei nicht unter Anklage stellen können. Unter Anklage stand in Nürnberg 1947, welche als Kriegsverbrechen klassifizierte Vergehen er sich hatte zu Schulden kommen lassen. Gewiss, sie wurden kaum gesühnt. Sie wurden, was die materielle Seite anbelangt, überhaupt erst mit der zuletzt hastig betriebenen Zwangsarbeiterstiftung als deutsche Verantwortung anerkannt. Viel mehr als eine späte, allzu späte Geste kann auch diese Stiftung, Ende 1999 gegründet, nicht mehr sein, aber immerhin eine Geste ohne Wenn und Aber.

Flick junior hat in diese nicht eingezahlt. Dem Schuldeingeständnis qua persönlicher Geldleistung, das seine Kritiker von ihm verlangen, verweigert er sich standhaft. Unter den Firmen, die gemäß dem Übereinkommen mit der Bundesregierung zahlten, waren solche des alten Flick – doch da dieser sein Imperium nach dem Verlust von zwei Dritteln der Substanz in den nunmehr sowjetisch beherrschten Gebieten und nach der Haftentlassung 1950 vollständig neu ordnete, waren es nicht einmal diejenigen Unternehmen, die vom Zwangsarbeitereinsatz profitiert hatten. So viel zu den historischen Feinheiten.

Zur historischen Kontinuität allerdings gehört die materielle Entschädigung der Sklavenarbeiter, der sich die Bundesrepublik so lange verweigerte. Die fehlgeleitete Wut auf das Vermögen, das sich Flick junior mit dem Startkapital seines Erbanteils verdienen konnte, muss vielmehr den Blick schärfen auf die Entstehung und Vererbung von deutschen Vermögen überhaupt. Da wird – für die einen schmerzlich, für andere mit Achselzucken – bewusst, dass es eine Stunde null der Gesellschaft 1945 nicht gegeben hat und nicht geben konnte.

Dazu muss sich Gerhard Schröder am heutigen Abend äußern. Unabhängig davon aber darf der Flick-Enkel den Beifall der Kunstfreunde empfangen, die von morgen an über etwas anderes urteilen werden: über Qualität und Rang der Kunst, die der Enkel zusammengetragen hat, aus welchen Motiven auch immer.

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