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Ministerpräsident Erdogan mit seiner Frau Emine während seiner Wahlkampftour.

© Reuters

Erdogan will Facebook verbieten: Kontrolle ist besser

Facebook, Youtube und Twitter sind schlecht – aber besser als ihre Gegner: Es gilt, die Daten vor ihren wohlmeinenden Beschützern zu beschützen

Böses Facebook, gutes Facebook. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan droht mit einem Verbot des soziales Netzwerks wie auch der Plattform Youtube. Dort waren Telefonmittschnitte aufgetaucht, in denen der Premier seinen Sohn auffordert, größere Geldsummen zu verstecken. Andere Gespräche belegen, dass er sich in die Auftragsvergabe eines Kriegsschiffs und in ein Gerichtsverfahren gegen einen Medienunternehmer einmischt. Das Telefonat zum „family business“ nennt Erdogan eine Fälschung, die andere Causa hat er bestätigt.

Und die Lösung? Facebook und Youtube sollen die Türken nicht länger belästigen dürfen, sie würden Menschen zu „Unmoral und Spionage“ ermuntern. Facebook hat 34 Millionen Nutzer in der Türkei, der Kurznachrichtendienst Twitter knapp 30 Millionen. Die Plattmach-Drohung erinnert an die Internet-Plattmacher in China oder im Iran; und sie erinnert daran, dass der Arabische Frühling in Nordafrika wesentlich durch die sozialen Medien befördert wurde. Aber nicht durch Facebook, Youtube und Twitter selbst, sie sind nur Technik, derer sich die Nutzer bedienen.

Das Gute und das Böse wird von Menschen gemacht. Und sie werden damit mächtig, weil sie immer auch eine weitere, ja eine Gegenöffentlichkeit herstellen. Machtmenschen wie Erdogan wissen das und handeln entsprechend: Lieber eine gelenkte Wahrnehmung als die ganze Wahrheit. Das Volk darf ahnungslos bleiben.

Im Angesicht der Verbotsdrohung gilt: Noch nie war Facebook so wertvoll wie heute. In mehreren Dimensionen. Der Aktienkurs ist auf Rekordkurs, sein Gründer Mark Zuckerberg ein Multimilliardär, der mal locker 19 Milliarden Dollar über den Tisch schiebt, um den aufkommenden Konkurrenten WhatsApp totzukaufen. Facebook ist der ingeniöse Kurzschluss zwischen Kommunikation und Kapitalismus. Wer Mitglied ist, der macht – hoffentlich – sich reicher und – ganz sicher – Zuckerberg noch reicher. Und das soll ein soziales Netzwerk sein? Pfui Teufel, her damit!

Privat bleibt privat wird öffentlich

Von den US-dominierten Plattformen ist bekannt, dass der US-Abhörkrake NSA sich dort bedient, ja gerne bedienen durfte. Was privat gepostet und hochgeladen wird, bleibt nicht privat. Die Privatsphäre ist im digitalen Zeitalter eine Schimäre geworden, wer nicht ausgespäht oder auch nur nicht veröffentlicht werden will, der nimmt die Finger von der Tastatur und wird Daten-Eremit. Verschont sich und andere mit Bits und Bytes. Selbstkontrolle ist großartig, gleichzeitig wird sie den Eifer der Kontrolleure nur anstacheln, das Verborgene erfahren zu wollen. Ausspähung war vor Facebook & Co, sie ist in Zeiten von Facebook & Co, und sie wird es auch danach sein. Also immer.

Und Sarkozy fürchtet um Comeback

In Frankreich, jenem Land, wo unverändert die besten Intrigen gesponnen werden und die interessantesten Skandale blühen, wird gerade Beweis geführt. Dort hat im Umfeld des damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy jeder jeden abgehört. Was auch dazu führte, dass der Oberanzapfer Sarkozy sich ein zweites Telefon für „sensible Gespräche“ zulegte. Auch das wurde abgehört – und Sarkozy muss um sein Comeback fürchten, wurde doch ruchbar, dass er als Staatschef womöglich Freunden im Do-ut-des-Modus zu schönen Lebensabenden verhalf.

Die gute Nachricht ist, dass selbst ein Sarkozy, so wenig wie ein Erdogan, nicht mehr mit dem Schutz ihrer Telefonate, Informationen und Intrigen rechnen können. Facebook, Youtube und Twitter haben den Drang zur Mitteilung und zum Verrat befördert. Böses (und Banales) wird sicht- und hörbar. So gesehen, hat der türkische Premier das Internet besser begriffen als alle Nerds zusammen. Da ist was, was eigentlich nicht zu kontrollieren ist, trotzdem will er die damit vernetzte Innovations- und die Informationsfreiheit beschneiden. Wenn er das schafft, dann führt er die Türkei noch weiter von Europa weg. In seinem Land rührt sich Widerstand bis hin zu Staatspräsident Abdullah Gül, der betonte, die Türkei wolle die Freiheitsrechte ausbauen.

Kontrollieren, was nicht zu kontrollieren ist

Künftig wird sich die Modernität, die Zukunftsgewissheit einer Gesellschaft mehr denn je am Umgang mit Daten erweisen, in der Türkei, in Deutschland, überall. Es wird, wie von Sascha Lobo beklagt, zu einer vermehrten „digitalen Kränkung des Menschen“ kommen. Das ehedem frenetisch begrüßte Netz als Bote und Botenstoff einer freiheitlichen Gesellschaft wird erfahren als Enttäuschung und verstanden als Gefährdung.

Ja, Facebook, Youtube und Twitter sind nicht neutral, das sind börsennotierte Yankee-Unternehmen, die mit ihren Teilnehmern Geld verdienen wollen. Daten werden zu Waren, Nutzer zu Konsumenten, Privatsphäre wird zum pekuniären Wert. Aber ist es nicht dieses Charakteristikum der Plattformen, das sie weiter und weiter vordringen lässt? Kapital ist aggressiv, und es kennt nur eine Richtung: mehr davon.

Wir sind die Ware

Aber wie zum Glück wird dabei mit Daten gedealt. Eine Ware, deren Wert so richtig noch keiner einzuschätzen weiß. Außer jenen, die diesen unfreiwillig hochtreiben: NSA, die Ajatollahs, die Machthaber in Peking, der Ministerpräsident der Türkei. Es gilt, die Daten vor ihren wohlmeinenden Beschützern zu beschützen.

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