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Die Kinder der Babyboomer bekommen wieder mehr Kinder. Ohne Angst vor dem Ende aller anderen Träume.

© Waltraud Grubitzsch/pa-dpa

Erneut mehr Geburten in Deutschland: Wo Kinder nicht alles sind, gibt es mehr von ihnen

Die Kinder der Babyboomer bekommen wieder mehr Kinder. Vielleicht, weil niemand mehr eine „traditionelle Familie“ gründen muss? Eine Babyboomerin blickt zurück.

Geburtendefizit – das klingt nicht wirklich schön. Und es führt, auch wenn die Wiesbadener Statistiker:innen es kaum anders ausdrücken können, weg von der Wirklichkeit. Tatsächlich nämlich werden seit einem Jahrzehnt Jahr für Jahr mehr Kinder in Deutschland geboren.

Nach den vorläufigen Zahlen, die dieser Tage das Statistische Bundesamt veröffentlicht hat, waren es letztes Jahr 795.500 Babys, so viele wie seit 25 Jahren nicht mehr. Ein Defizit besteht zur Zahl derer, die sterben: Auch mehr Kinder, die zur Welt kommen, gleichen in einem Land mit vielen alten Menschen nicht die aus, die aus dieser Welt gehen. Das waren im vergangenen Jahr mehr als eine Million, also ungefähr ein Viertel mehr. 

Defizit, ein unvermeidbares Wort aus der Statistik, das wir uns allerdings hüten sollten, auf die jetzige Elterngeneration anzuwenden. Die nämlich – keineswegs nur die Einwanderer – bekommt wieder mehr Kinder als ihre eigenen Eltern aus der Babyboomer-Generation.

Wer Arbeit hat, kann sich Kinder leisten

In einer interessanten Prognose analysierte dies 2018 die Demografie-Fachfrau des Wiesbadener Amts: Die Geburtsjahre ab 1970 seien Nutznießerinnen eines veränderten gesellschaftlichen Klimas, des Ausbaus von Betreuung und finanziellen Hilfen für Eltern und einer breiten Diskussion über familienfreundliche Politik – in den letzten Jahren setzte sich das Leitbild zweier berufstätiger Eltern durch.

Der Kinderwunsch werde womöglich zurückgestellt, aber immer öfter noch spät verwirklicht, auch jenseits des 40. Geburtstags der Mütter. Die Frauen der 1980er Jahrgänge, so die Prognose, werden wohl noch mehr Kinder haben.

Will sagen: Wer arbeiten kann und über dem Glück, Kinder zu haben, nicht Ausbildung, Beruf und spätere Rente vergisst – was für ein Elternpaar immer auch Arbeitsteilung zu Hause bedeutet – ist eher bereit, sie zu bekommen als die, die mit der Elternschaft das Ende eines selbstbestimmten Lebens fürchten müssen. Und das sind die Frauen.

Davon zeugen übrigens auch Zahlen aus Italien, zusammen mit Deutschland lange ewiges Schlusslicht der weltweiten Geburtenstatistik: Im Norden Italiens, wo Frauen und Männer versicherte Arbeit finden, kommen erheblich mehr Kinder zur Welt als im vermeintlich traditionellen und frommen, aber armen Süden.  

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Warum wohl hatten wir Frauen der Babyboom-Jahrgänge 1950 bis 1970 so viel weniger Kinder? Vielleicht weil wir von unseren eigenen Müttern vieles gelernt hatten, das wenig Lust aufs Kinderkriegen machte:

Wir wussten von ungewollten dritten und vierten Schwangerschaften, deren Abbruch noch gefährlicher als heute oder unmöglich war, sozial wie praktisch. Von Berufsträumen, die platzten, weil unsereins auf die Welt kam und schließlich nicht als bedauernswertes „Schlüsselkind“ aufwachsen durfte, mit working mom, also ohne warmes Mittagessen.

Jahrzehntelang waren Ehefrauen Bürgerinnen zweiter Klasse

Und von Altersarmut, falls eine tollkühn genug war, sich scheiden zu lassen und auf lebenslange ökonomische Abhängigkeit vom Ehemann zu verzichten. Ganz zu schweigen davon, was es für etliche von uns bedeutete, von frustrierten Müttern erzogen zu werden, die gern auch draußen in der Welt (der Männer) einen Platz gehabt hätten statt ausschließlich am Herd

Natürlich gab es auch Frauen, die mit dieser Rolle zufrieden waren. Entscheidend ist, dass sie keine Wahl hatten. Wer – auch - heiraten wollte, bekam per Trauschein, jedenfalls in Westdeutschland, seine Bürgerinnenrechte aberkannt: Ehefrauen durften jahrzehntelang weder ohne Zustimmung ihrer Gatten arbeiten noch gleichberechtigt über die Erziehung ihrer Kinder bestimmen.

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