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Meinung: Erst die Feuerwehr, dann die Architekten

Wie Krisenregionen friedlich werden – und auch bleiben

Von Caroline Fetscher

Wo immer derzeit die Balkan-Experten des Westens beieinander sitzen, kommt irgendwann die Rede auf „OK". OK ist das, was keineswegs okay ist in Südosteuropa: Organisierte Kriminalität. Es gibt entschieden zu viel davon. Zu viel Handel mit Drogen, Waffen, Mädchen. Die OK arbeitet dynamisch, multiethnisch, vernetzt, hoch technisiert, profitorientiert und schnell. Sie floriert – im Kosovo wie in dessen Nachbarländern, vor allem in Serbien und Bosnien. Und sie floriert, weil ihr Gegenpart all das nicht ist: weder dynamisch, noch multiethnisch, noch zielbewusst.

Wie das? Befinden sich nicht zwei dieser Territorien in den guten Händen der internationalen Gemeinschaft? In Bosnien seit 1995, im Kosovo seit 1999 sollen die Leute unter Anleitung moderner, wohlwollender Verwalter die Spielregeln repräsentativer Demokratie erlernen. Anders kann die doppelte Transformation kaum bewältigt werden: nach Sozialismus und nach Krieg. Doch solange die Wirtschaft nur im Schatten, nicht im Licht vorankommt, hat die OK das Sagen, und mit ihr gedeihen die ideologischen Scharfmacher ethnischer Gewalt.

Wir kennen sie alle, sagte jetzt der prominente kosovo-albanische Künstler und Hochschullehrer Enver Petrovci einem Sender in Serbien: „Wir kennen unsere Mafia, ihr kennt eure.“ Auch die UN-Verwalter im Kosovo kennen die Mafiabosse, die mit ihren Jeeps und Villen protzen. Aber sie greifen nicht zu. Sie sehen zu. Wie im afghanischen Kundus, wo der Opiumhandel unter den Augen internationaler Einsatzkräfte weiter blüht. Wer nämlich das organisierte Verbrechen angreift, der riskiert sein Leben. Allerdings: Wo internationale, demokratische Kräfte, seien es die UN, die Europäische Union oder die Vereinigten Staaten, aus zerbrochenen oder totalitären Gesellschaften Demokratien machen wollen, sind sie zum aktiven Handeln verpflichtet.

Erst recht da, wo militärische Intervention – siehe Bosnien, Kosovo, Afghanistan – den Frieden brachte. Wer eine Feuerwehr schickt, weil Häuser brennen, muss auch Architekten anbieten, wenn es um Wiederaufbau geht. Dieser weltpolitischen Einsicht nähert man sich jetzt im Fall Kosovo – der historische Präzedenzfall für humanitäre Intervention.

Aus Peacekeepern müssen Partizipatoren werden, die sich aktiv identifizieren. Das bedeutet erstens: eingreifen und durchgreifen. Und zweitens: sich mit dem Land und dessen Kultur befassen, eine Gesellschaft auch von innen aufbauen helfen. Nichts mehr und nichts weniger als eine neue Peacekeeping-Culture steht auf der Tagesordnung – für die demokratische Weltordnung.

Rat könnten sich die Internationalen auf dem Balkan etwa auch da holen, wo neues Miteinander bereits gut funktioniert, und nicht kriminell: in der Zivilgesellschaft. Schriftsteller, Popmusiker, Galeristen, Feministinnen und Akademiker bauen mit meist minimalen Mitteln mehr nichtnationalistische Brücken als viele der millionenschweren Projekte, deren Etats im Dunkel der Korruption versickern. Doch aus den Töpfen der Technokraten erhält diese Avantgarde kaum einen Cent. Und nie erscheinen ihre Vertreter auf den Hunderten von Konferenzen, zu denen „der Westen“ lädt. Strategisch blind für die „OK“, ist er auch ungebildet blind für jene, die wirklich okay sind.

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