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Meinung: Es darf wieder Politik gemacht werden

Das Genfer Abkommen und andere Annäherungen zwischen Israelis und Palästinensern

Ein Abkommen, das so viele Proteste auf sich zieht, kann nicht schlecht sein. Denn ohne den schmerzhaften Abschied von Lebenslügen auf beiden Seiten des Nahostkonflikts wird es nie etwas werden mit dem Frieden. So ist der Widerstand gegen das Papier, das heute in Genf unterzeichnet wird, fast ein positives Zeichen: In den besetzten Gebieten wird gewalttätig demonstriert und Arafat weigert sich, den Unterhändlern seine Unterstützung zuzusichern. Und in Israel empört sich die politische Klasse, dass sich der Architekt des Osloer Abkommens, Jossi Beilin, ohne demokratisches Mandat zu solch einer Unterschrift autorisiert sieht.

Dabei steht im Genfer Abkommen bloß, was alle schon wissen: Einen Frieden kann es nur geben, wenn die Palästinenser nicht auf ein Rückkehrrecht nach Israel bestehen und wenn die Israelis die besetzten Gebiete weitgehend räumen. Die UN und die EU haben sich schon hinter das Abkommen gestellt und auch US-Außenminister Colin Powell hat sich positiv geäußert. Wichtiger aber als die symbolisch bedeutsame Verständigung in Genf ist, dass sich seit einigen Wochen auch realpolitisch einiges tut. Man könnte es den neuen Pragmatismus nennen.

Ohne dass viel Aufhebens darum gemacht wird, kommt es langsam zur Annäherung beider Seiten. Der Grund: Die Kontrahenten haben ihre bisherigen Optionen erschöpft. Nach anderthalb Jahren Kampf gegen Palästinenserführer Jassir Arafat musste Scharon einsehen, dass er ihn nicht los wird. Nun will er sich sogar mit dem neuen Premierminister Ahmed Kurei treffen – obwohl der an der kurzen Leine Arafats hängt und nicht über die palästinensischen Sicherheitskräfte gebietet, die den Terror eindämmen sollen.

Auch bei den Palästinensern scheint man eingesehen zu haben, dass Scharon nicht wegzubomben ist. Zudem neutralisieren sich Terroristen und israelische Armee gegenseitig. Die Terror-Planer sind ständig auf der Flucht und verfügen offenbar nicht über die Mittel zur weiteren Eskalation. Auf der anderen Seite kann der israelische Sicherheitsapparat zwar Erfolge verbuchen, Attentate ganz zu unterbinden, gelingt ihm aber nicht. So wächst auf beiden Seiten das Bedürfnis nach Bewegung. Hamas und Islamischer Dschihad brauchen einen Waffenstillstand, um sich neu zu formieren. Und die Israelis wollen von Scharon endlich mehr als militärische Antworten auf politische Probleme.

Scharon ist in den letzten Wochen unter Druck geraten. Sein oberster General warf ihm vor, den palästinensischen Hoffnungsträger Mahmud Abbas nicht ausreichend unterstützt, ihn gar torpediert zu haben. Dann taten sich ehemalige Geheimdienstchefs zusammen und prophezeiten, dass Israel sich mit seiner kompromisslosen Politik das eigene Grab schaufele. Das Genfer Abkommen hat nun ein weiteres von Scharons Schlagwörtern entlarvt: Dass es keinen Partner gibt für den Frieden.

Noch ist nicht klar, ob die neue Nüchternheit nur taktischen Überlegungen folgt. Arafat wollte offenbar international Punkte sammeln, als er einen engen Vertrauten mit den Genfer Verhandlungen beauftragte, denen er jetzt den Segen verweigert. Und auch Scharons Überlegungen, einseitig Siedlungen in Gaza zu räumen, entsprangen wohl eher dem Bedürfnis, nicht als Verweigerer dazustehen, denn einem wirklichen Konzept zum Frieden. Doch die Lage ist besser als in den schlimmsten Zeiten, als sich beide Seiten mit Terror und militärischen Gegenschlägen erschöpften. Politik bedeutet, Optionen zu haben. Das Genfer Abkommen ist da nur eine von mehreren. Das ist die gute Nachricht.

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