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Meinung: Es geht nur um die Wurst

Ein muslimischer Ladenhelfer muss kein Bier stapeln – das Abendland kann es verkraften

W ieder ein Urteil, über das mancher den Kopf schütteln möchte. Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt, eben noch gefeiert als Retter der gefeuerten Kassiererin „Emmely“, bürdet dem deutschen Einzelhandel Diskussionen mit Lagerhelfern muslimischen Glaubens auf, wenn diese keine Bierflaschen mehr stapeln möchten. Sie sollen, so entschieden es die Richter, erst einen anderen Job angeboten bekommen, der ihre stets nüchterne Religionsüberzeugung unberührt lässt, bevor man ihnen kündigen darf.

Man kann sich anschaulich die Verkäuferin im Supermarkt vorstellen, die erst ihr Recht auf ein Kopftuch durchsetzt, um dann an der Fleischtheke abgelöst werden zu wollen. Es geht in der Diskussion um Islam und Integration jetzt um die sprichwörtliche Wurst.

Man kann es den vielen nicht verdenken, die hinter den immer häufigeren derartigen Nachrichten System vermuten, vielleicht sogar komplotthafte Verstrickungen, die nicht nur an Stammtischen als schleichende Islamisierung abgehandelt werden. Es geht um Burkas und Burkinis, um Kopftücher und Betrituale an Schule und Arbeitsplatz, um Schwimmunterricht und Sexualkunde, um Schimmer der Scharia im deutschen Ehe- und Erbrecht, die es vielleicht schon lange gab, die jetzt aber sichtbar geworden sind. Nicht zuletzt, weil es auch an den Muslimen in Deutschland selbst liegt, die mit der gesellschaftlichen Prägekraft ihrer relativen Jugend selbstbewusst ihre Rechte einfordern, die mancher schon an deutschen Universitäten erfolgreich studiert hat.

Doch man spürt, die Empörung schrumpft, und solche Urteile werden auch nicht mehr durchgängig als Zeichen kultureller Desorientierung gewertet. Der allmähliche Stimmungswandel hat seine Ursache in einem ebenso stabilen wie toleranten Grundgesetz, das schon andere und bedrohlichere Strömungen als wiederkehrende „Islamkritik“ überstanden hat. Die Bundesrepublik hat sich im Bewusstsein ihrer Kriegsvergangenheit ein enorm tolerantes Glaubensgrundrecht auferlegt, das die Gerichte mit Augenmaß verteidigen. Die Religionsfreiheit gilt uneingeschränkt, soweit sie nicht mit anderen Verfassungswerten kollidiert. Sollte es so weit sein, wird nicht Hop oder Flop entschieden, ein Fundamentalismus zugunsten eines anderen ausgewechselt, sondern ein schonender Ausgleich hergestellt, wie er auch im neuen Urteil des Bundesarbeitsgerichts angelegt ist. Ein muslimischer Ladenhelfer, der das Urteil aus Erfurt wie eine Monstranz vor sich herträgt und mal diesen, mal jenen Job verweigert, wird sich schnell auf der Straße wiederfinden.

Die Islam-Urteile der Justiz sind deshalb weniger politisch, als es den Anschein hat. Sie leisten weder der Islamisierung Vorschub noch wollen sie ein christliches Bollwerk sein. Sie sind ein Gradmesser für einen voranschreitenden Integrationsprozess.

Und der verläuft weit besser, als es die Kritik an Islam und Integrationsverweigerern vermuten lässt. Alltag ist selten eine Nachricht, wer ihn studieren will, verzichtet besser auf das Fernsehen und legt auch mal die Zeitung beiseite. Die Deutschen haben Sarrazin und seine Thesen erfolgreich der Politik entzogen und in die Sachbuchecke entsorgt. Wir sind wieder nüchterner geworden.

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