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Meinung: Es lebe der US-Imperialismus!

Die Amerikaner mischen sich im Irak nicht zu viel ein – sondern zu wenig. Von Sibylle Tönnies

Nicht nur Schlaghosen und Plateausohlen sind wieder modern. Wie in unseren Jugendtagen, wie zur Zeit des Vietnamkrieges, ist „USImperialismus“ wieder das entscheidende Stichwort. Neu ist aber, dass das Wort Imperialismus jetzt auch im positiven Sinne angewendet wird. Zum Beispiel sagte der Harvard-Professor Michael Ignatieff, der früher gegen den Vietnam-Krieg demonstriert hat: „Der Imperialismus ist nicht schon deshalb unnötig, weil er politisch nicht korrekt ist.“ Sein neues Buch heißt „Empire lite“.

Viele Linke in den USA haben ihr Verhältnis zum Imperialismus geändert, seit ihr Land die Sole Super Power ist. Das hat auch seine Berechtigung. Denn nicht nur im Wahn der Amerikaner, sondern tatsächlich geschieht gerade etwas Einmaliges in der Menschheitsgeschichte: die Welt ist im Begriff, ein globales Gewaltmonopol herauszubilden. Dieses Faktum kann man nicht ignorieren. Es bietet eine Chance für die lang ersehnte Welteinigung in Frieden, und es ist richtig und nötig, dass die Amerikaner ihre Mission erkennen: den Aufbau der Pax Americana.

Dem sollte man nicht den Versuch entgegenstellen, dass sich die Welt – oder Teile der Welt – gegen die USA zusammenschließen. Das liefe auf einen Dritten Weltkrieg hinaus. Was wir Deutschen – leider zu spät – denn endlich doch praktiziert haben, müssen wir dem Rest der Welt empfehlen: die Kapitulation.

Der Druck, den die kritische öffentliche Meinung ausüben kann, muss in die Gegenrichtung gehen: Sie muss die USA – ironischer Weise – zu einem echten Imperialismus auffordern. Davon sind die Amerikaner nämlich noch weit entfernt. Keineswegs sehen sie ihre Aufgabe darin, dem Allgemeinwohl der unterworfenen Völkerschaften zu dienen, wie kluge Kolonialherren es immer getan haben.

Ich denke jetzt oft an meine Tante Carola, die Ende der Zwanzigerjahre linke Studentin in Frankfurt gewesen war. Sie bekam das leere Gerede darüber, wie man die Lage der Massen verbessern könne, so satt, dass sie auf die andere Seite überwechselte: Sie heiratete einen britischen Kolonialbeamten und ging mit ihm nach Burma. Dort hatte sie endlich – als Colonial Lady – Gelegenheit, praktisch zu arbeiten und die Kindersterblichkeit zu bekämpfen.

Auch wenn man den britischen Imperialismus nicht idealisiert, so unterschied er sich doch deutlich von dem, was die Amerikaner heute praktizieren: alles glatt und platt machen und die Folgen dem „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ überlassen. „Befreien, nicht besetzen“ ist die amerikanische Devise. Die Folgen sind verheerend. Hätten sie doch jedenfalls die Krankenhäuser in Bagdad besetzt! Ein Panzer vor jedem Krankenhaustor hätte schon seine Wirkung getan.

Die öffentliche Meinung sollte jetzt nicht die amerikanische Anwesenheit in der Welt kritisieren, sondern ihre Abwesenheit. Dabei fände sie – wiederum ironischerweise – Hilfe bei Carl Schmitt. Wenn dieser Nazi-Jurist auch auf das Gegenteil hinaus wollte: Amerika in die Schranken weisen, so hat er doch richtig beschrieben, was schon immer das Charakteristikum der amerikanischen Weltpolitik war: „Die offizielle Abwesenheit war eine nur politische Abwesenheit, die nicht-offizielle Anwesenheit dagegen eine außerordentlich effektive, nämlich wirtschaftliche Anwesenheit und nötigenfalls auch politische Kontrolle.“

Carl Schmitt beschrieb die amerikanische „Form einer Lenkung, deren erstes Kennzeichen der Verzicht auf die offene, territoriale Annexion des gelenkten Staates ist“. Der unterworfenene Staat wird nicht einverleibt; die politische Souveränität bleibt scheinbar unangetastet – es wird lediglich ein ökonomischer Großraum gebildet, der von dem Herrscher kontrolliert wird. Er nimmt sich das Recht, zum Schutz seiner eigenen Interessen, zum Schutz seines investierten Kapitals jederzeit in die Politik des unterworfenen Staates einzugreifen. „Sein Interventionsrecht ist durch Stützpunkte, Flotten- und Kohlenstationen, militärische Besetzungen, Landpachtungen oder in anderer Form nach innen und außen gesichert.“ Mit Ausnahme der Kohlen, die nicht mehr stationiert werden, passt Schmitts Beschreibung bis heute.

Das ist kein Imperialismus. Das kann man auch nicht, wie Ignatieff es tut, als „Empire lite“ bezeichnen. Jedenfalls insoweit sollten wir alten Linken für die Träume unserer Jugend Achtung tragen (wie Schiller seinem Don Carlos rät), dass wir eine solche Herrschaftsform weiterhin als Ausbeutung bezeichnen.

Die Autorin ist Juristin. Zuletzt ist von ihr „Cosmopolis Now“ erschienen. Foto: privat

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