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Meinung: Es lebe die Freiheit! Es lebe der Wein!

Horst Seehofer will ein Reinheitsgebot für den Wein. Eine Liste der Zutaten wäre hilfreicher

Reinheitsgebot – das ist allemal ein deutsches Erfolgsrezept. Beim Bier entfaltet das Wort nahezu magische Kräfte, obwohl es eine ganze Reihe von Hintertüren verbirgt. Die industriell verarbeiteten Hopfenpresslinge, die den frischen Hopfen beim Brauen längst legal verdrängt haben, sind nur eine davon. Deshalb riecht auch die Absicht von Verbraucherminister Horst Seehofer, ein ähnliches Rechtsprinzip für deutsche Prädikatsweine zu schaffen, eher nach Marketing als Qualitätsbewusstsein.

Die Diskussion spitzt sich derzeit auf einen Teilaspekt der Weinbereitung zu: die ominösen Holzchips. Sie zaubern den marktgängigen Vanillegeschmack, der sonst nur mit teuren Holzfässern erzielt werden kann, schnell und billig auch in preisgünstige Supermarktweine. In Übersee ist das üblich, und auch Europas Massenweinerzeuger – Deutschland ist keiner – werden sich diese Technik auf Dauer nicht verbieten lassen. Die EU-Zulassung steht bevor.

Der Unterschied zwischen Barrique und Chip ist, streng genommen, rein philosophischer Natur. Deshalb wird die Debatte in Ländern, die Wein für ein Getränk von vielen halten, meist nicht einmal verstanden. Dennoch ist es zweifellos das gute Recht jedes deutschen Weintrinkers, zu wissen, was genau mit dem mythisch aufgeladenen Getränk geschehen ist, das da vor ihm im Glas funkelt. Deshalb liegt Seehofers Gedanke einer nationalen Präzisierung des großherzigen EU-Regelwerks nahe.

Doch da sind die Hintertüren des „Reinheitsgebots“: Gewiss gibt es in Deutschland zahlreiche Winzer, die ihren Wein mit größter Akkuratesse und minimiertem Chemikalieneinsatz produzieren – sie gehören in aller Regel zur Spitze. Doch ob auch die mächtigen Großerzeuger und Genossenschaften in Seehofers Qualitätsorchester mit aller Konsequenz mitspielen wollen, ist mehr als fraglich, Denn das geltende EU-Recht lässt für die Weinbereitung rund 80 Chemikalien zu, die sich kaum ein Großerzeuger ganz entwinden lassen wird. So liegt der Verdacht nahe, dass auch das Reinheitsgebot für Wein am Ende nur eine Mogelpackung wird.

Seehofer weiß das natürlich und hat wohl vor allem deshalb das Segment der Prädikatsweine herausgepickt. Es soll eigentlich die Spitze des Angebots umfassen, aber das Konzept ist längst tot. Denn es beschreibt ein paar geografische und physikalische Parameter, die nicht zuletzt wegen des Klimawandels praktisch nichts mehr aussagen. Der Markt nimmt es kaum noch wahr, und die Winzer umgehen es nach Belieben. Deshalb kann es ihnen egal sein, was Seehofer in seinen Kodex hineinschreiben möchte. Reinheitsgebot für alle Qualitätsweine auch ohne Prädikat – das würde vielleicht noch etwas bewegen, ist aber politisch reine Utopie.

Die einzig saubere Lösung wäre ohnehin die vollständige Deklaration aller Zutaten auf dem Etikett. Doch das wäre eine lange Liste, mit der sich kaum ein Winzer die Fiktion von Wein als mythischem Gottesgeschenk kaputtmachen lassen mag. Was bleibt dem Verbraucher? Er muss auf den guten Namen des Winzers achten. Und mehr als 2,99 Euro ausgeben.

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