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Meinung: „Es wird aufreibend und antiamerikanisch“

In Europa wird der Begriff „Neokon“ meist als Synonym für „Hardliner“ benutzt. An Reuel Marc Gerecht kann man sehen, warum das nur die halbe Wahrheit ist.

In Europa wird der Begriff „Neokon“ meist als Synonym für „Hardliner“ benutzt. An Reuel Marc Gerecht kann man sehen, warum das nur die halbe Wahrheit ist. Gerecht, gerade auf Einladung der American Academy in Berlin, ist zwar Realist, wenn es um die Instrumente der Außenpolitik geht. Seine Ziele sind aber zu einem guten Teil idealistisch, andere würden sagen: ideologisch. So glaubt der Arabist und ehemalige CIA-Mitarbeiter, dass die arabische Welt reif ist für Demokratie und dass wir einen Umbruch in der Region unterstützen sollten. Allerdings, das sei erwähnt, will Gerecht keinen Demokratieexport mit militärischen Mitteln.

Wie George W. Bush hält Gerecht es für einen Fehler, dass der Westen die Diktaturen im Nahen und Mittleren Osten jahrzehntelang stabilisiert hat und die Entwicklung der dortigen Systeme quasi eingefroren wurde. „Dieser Status quo hat uns den 11. September gebracht, er ist dysfunktional und tödlich“, sagte er bei einer vom Aspen-Institut organisierten Debatte in der Berliner Volksbühne. Man habe immer auf den aufgeklärten Despoten gehofft, eine Art arabischen Atatürk. Stattdessen würden die Regime stets repressiver – und züchteten immer mehr Fundamentalismus heran. Man könne deshalb nicht mit Demokratisierung warten, bis sich die dafür notwendigen Institutionen gebildet hätten.

Der Westen müsse sich darauf einstellen, dass es sich um einen „sehr chaotischen Prozess“ mit vielen Rückschlägen handeln werde, meint Gerecht. „Wir werden ein fundamentalistisches sunnitisches Experiment durchmachen, ähnlich wie es die Schia in Iran vorgemacht hat.“ Es sei aber ein Fehler gewesen, diese Entwicklung, etwa in Algerien Anfang der 90er Jahre, zu stoppen, selbst wenn es bedeute, dass es auch zu Rückschlägen komme, etwa bei Frauenrechten.

Der 46-Jährige, der am American Enterprise Institute in Washington forscht, warnt davor, die Öffnungsbewegung in der arabischen Welt nur als „amerikanischen Schönheitswettbewerb“ zu sehen. „Die Muslime sind sich sehr klar darüber, dass sie ein anderes System wollen, das ist auch unabhängig von den Entwicklungen im Irak“, sagt Gerecht. Bei diesen Bestrebungen spiele Ägypten eine Schlüsselrolle, wo es selbst unter den islamistischen Muslimbrüdern Diskussionen über Demokratie gäbe. Der „Heilungsprozess“ in der arabischen Welt werde aufreibend sein und sehr antiamerikanisch. Das ist Gerecht bereit, in Kauf zu nehmen.

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