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Meinung: Es wird verdrängt, was nicht gefällt

Der Klimawandel überfordert viele Menschen. Die Apokalypse ist langweilig geworden. Spott statt Schock ist die Devise.

Der Klimawandel ist eine Nummer zu groß für unseren Kopf. Deshalb wollen wir in regelmäßigen Abständen hören, dass das Problem gar nicht so groß ist – und es schon nicht so schlimm kommen wird. Die abenteuerlichen Thesen der Klimaskeptiker auf einem Titelblatt dienen der seelischen Entlastung. Mit dem Bewusstsein einer großen Gefahr, die weltweite Folgen hat, lässt es sich eben nicht gut leben. Das gilt vor allem dann, wenn unser Lebensstil und unser Wohlstand eine wesentliche Ursache für diese globale Krise sind.

Aber der Klimawandel stellt nicht nur unsere Lebensweise in- frage. Er ist zunächst einmal ein schwer zu lösendes intellektuelles Problem. Der Folgekette – mehr Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre führt zu einer steigenden globalen Durchschnittstemperatur – können die meisten Menschen noch folgen. Seit dem Beginn der Industrialisierung verbrennen die Industrienationen fossile Brennstoffe wie Erdöl, Kohle oder Erdgas. Dabei entsteht CO2. Die Konzentration des Kohlendioxids in der Atmosphäre stieg von 280 Teilchen pro einer Million Teilchen (ppm) auf 370 ppm. Das ist mehr CO2 in der Atmosphäre als in den vergangenen 600 000 Jahren. So lange lässt sich der CO2-Gehalt durch die Untersuchung von Eisbohrkernen zurückverfolgen.

Allerdings steigt nicht das gesamte CO2 in die Atmosphäre auf und entfaltet dort eine Wirkung wie im Treibhaus. Beträchtliche Mengen CO2 werden durch Wälder und vor allem Ozeane gebunden. Doch wie groß deren Aufnahmefähigkeit ist, lässt sich nur schwer abschätzen. Wahrscheinlich werden die Meere auf längere Sicht zu einer neuen CO2-Quelle. Und dabei ist noch nicht einmal die Wirkung von Aerosolen in der Atmosphäre – tendenziell kühlend – oder von CO2 im Ozean – versauernd – berücksichtigt.

Das Klimageschehen in seiner ganzen Komplexität durchschaut kaum ein Einzelner. Selbst die Klimaforscher tun sich mit einer solchen Gesamtschau schwer. Dazu kommt, dass es um Handlungen geht, die weit in die Zukunft hineinreichen. Der Kasseler Professor für Umweltpsychologie, Andreas Ernst, schreibt: „Der Umgang mit beidem (Komplexität und Zukunftswirkung) ist weder besonders erfolgreicher natürlicher Bestandteil menschlicher Intelligenz noch schulischer Lehrpläne.“ Also selbst wenn wir guten Willens sind: Es ist schwer, den Klimawandel und seine Folgen zu verstehen.

Außerdem sind die meisten Prognosen, die sich aus den Klimamodellen ableiten lassen, eher ungemütlich. Steigende Meeresspiegel könnten dazu führen, dass Millionenstädte wie etwa Lagos in Nigeria einfach absaufen. Doch selbst für Hamburg wird damit gerechnet, dass einige Stadtgebiete aufgegeben werden müssen, weil sie zu vertretbaren Kosten nicht zu sichern sein werden. Ganze Inselstaaten im Pazifik könnten im Meer versinken, werden aber vermutlich schon vorher unbewohnbar sein. Je höher der Meeresspiegel steigt, desto größer ist das Risiko, dass die Süßwasserquellen versalzen, was spätestens dann passiert, wenn sie immer wieder vom Meer überspült werden. Und ohne Wasser gibt es kein Leben – oder nur ein sehr teures, das sich aus den jeweiligen Ökonomien wohl kaum dauerhaft finanzieren lässt.

Je ungemütlicher Orte wie die Malediven werden, desto geringer dürften die Einnahmen aus dem Tourismus ausfallen. Andere Inselstaaten, wie etwa Tuvalu, verfügen noch nicht einmal über diese Einkommensquelle. In den Alpen schmelzen die Gletscher in Rekordgeschwindigkeit. Damit steigen die Risiken für die nahe gelegenen Bergdörfer. Bildet sich ein Gletschersee aus dem Schmelzwasser, führt das nicht nur zu einem noch schnelleren Abtauen, weil das dunkle Wasser die Sonnenstrahlen „schluckt“ und nicht mehr in den Weltraum reflektiert.

Bricht ein solcher Gletschersee, kann ein ganzes Dorf unter den Wasser- und Schlammmassen begraben werden. Grund zum Optimismus haben nur wenige, womöglich die Seebäder an der Ostsee, die davon träumen dürfen, die neue Riviera zu werden. Doch alles in allem sind die Aussichten eher unerfreulich. Menschen können aber nicht dauerhaft mit einem solchen Menetekel vor Augen leben. Sie müssen die Gefahren verdrängen. Manche verleugnen sie der Einfachheit halber.

Es ist kein Wunder, dass nach der Veröffentlichung der drei Berichte des Weltklimarats (IPCC) nun wieder die Stunde der „Skeptiker“ – oder genauer gesagt: der Leugner – schlägt. Der IPCC ist ein Wissenschaftlergremium, das vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (Unep) und der Welt-Meteorologie-Organisation (WMO) gemeinsam gebildet wurde. Alle sechs bis sieben Jahre legen die knapp 3000 Wissenschaftler eine Zusammenschau des aktuellen Forschungsstands vor. Das ist in diesem Frühjahr passiert. Ihr Fazit: Es gibt keinen vernünftigen Zweifel mehr daran, dass die gegenwärtige globale Erwärmung auf menschliches Handeln zurückzuführen ist. Die Folgen werden ungerechterweise gerade da am verheerendsten sein, wo das Problem nicht verursacht wurde, nämlich in den Entwicklungsländern.

Die IPCC-Autoren gehen davon aus, dass der Menschheit noch ein Zeitfenster von zehn bis zwanzig Jahren bleibt, um umzusteuern und den Ausstoß an Treibhausgasen, vor allem CO2, drastisch zu senken. Dann könnte der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf zwei Grad im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung (1750) begrenzt und damit in einem vermutlich noch beherrschbaren Rahmen gehalten werden.

Dieser Konsens allerdings langweilt auch die Medien. Wenn sich alle einig sind, muss es doch irgendwo eine Gegenposition geben. Und dann muss eben ein Magazintitel so zurechtgebogen werden, dass die „Klimagewinner“ im Mittelpunkt stehen oder mit hahnebüchenen Argumenten die „Klimalüge“ gegeißelt werden kann. Das hat neben der Provokation den Vorteil, dass man es den Gutmenschen vom „linken Mainstream“ mal wieder zeigen kann.

Hinzu kommt, dass Thesen dieser Art das Grundgefühl bedienen, dass die Apokalypse doch nun schon seit Jahrzehnten vor der Tür steht, aber nie stattgefunden hat. Dass gerade wegen dieser Warnungen ein Teil der Vorhersagen nicht eingetreten ist, weil rechtzeitig politische Entscheidungen getroffen werden konnten und wurden – etwa beim Ozonloch – wird dabei gerne vergessen. Andere Warnungen, wie etwa die des „Club of Rome“, dass wir an die Grenzen des Wachstums stoßen, sind dagegen längst eingetroffen, werden aber noch nicht unmittelbar im Alltag bemerkt. Außerdem ist es für Journalisten tatsächlich ein mühsames Geschäft, die Windungen der internationalen Klimadiplomatie verständlich zu machen. Oftmals ist der einzige Erfolg, dass die Staaten überhaupt noch miteinander sprechen. Das sieht nach Papierstapeln aus, riecht nach Staub und schmeckt nach Graubrot.

Dabei ist der Befund eindeutig, inzwischen kaum noch umstritten, und er verlangt schnelles Handeln. Doch gerade deshalb steigt die Neigung wegzusehen oder sich den Thesen der Klimaskeptiker anzuschließen. Sie versprechen seelische Entlastung in einer nahezu aussichtslosen Situation.

Wenn der Klimawandel als „Hysterie“ abgetan werden kann, wird es wohl nicht so schlimm kommen, denken sich viele. Dabei argumentieren sie wie der Umweltpsychologe Detlef W. Timp aus Gelsenkirchen-Buer. Schließlich, meint er, stammen diese Prognosen doch alle aus „irgendwelchen Modellen“. Er hat zudem den Eindruck, dass die Klimadebatte „deshalb so hochgekocht wird, weil von anderem abgelenkt werden soll“. Verschwörungstheorien eignen sich hervorragend zur psychischen Entlastung, weil sie stets geschlossene Systeme sind, deshalb immer stimmen und einem selbst jede Verantwortung abnehmen. Außerdem meint Timp: „Die Umwelt verändert sich doch ständig.“ Das sei nichts Neues.

Der Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Klimaberater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Hans-Joachim Schellnhuber, ahnt, wohin diese Diskussion führt: Nachdem es inzwischen eine intellektuelle Schande sei, noch zu behaupten, der Mensch habe mit dem Klimawandel nichts zu tun, veränderten die Skeptiker einfach ihren Fokus. Sie geben zu, dass der Mensch beim Klimawandel seine Hand im Spiel hat, bezweifeln aber, dass das ernste Folgen haben könnte. Wenn die „Auswirkungs-Skeptiker“ in vermutlich gar nicht so ferner Zukunft konzedieren, dass sie auch die schwerwiegenden Folgen nicht mehr leugnen können, werden sie schließlich zu „Maßnahmen-Skeptikern“ mutieren, vermutet Schellnhuber. „Dann wird es heißen: Jetzt ist es viel zu spät – und natürlich auch zu teuer –, um noch drastische Maßnahmen zur Minderung der Treibhausgase einzuleiten.“ Oder wie Detlef W. Timp das formuliert: „Wenn es wirklich nur noch 20 Jahre sind, dann ist der Zug abgefahren.“

Der Umweltpsychologe Andreas Ernst meint, dass „Überoptimismus und Kontrollillusion vermutlich zu den wichtigen psychohygienischen Ausstattungsmerkmalen psychisch Gesunder“ zählen. „Je komplizierter es wird, desto mehr neigen wir aus Selbstschutz dazu, die Dinge einfach sehen zu wollen.“ Genau deshalb ist die Argumentation der Klimaskeptiker destruktiv. „Jeder mühsame Überzeugungsprozess kostet uns ein Jahrzehnt. Und irgendwann ist es tatsächlich zu spät für wirksamen Klimaschutz“, sagt Schellnhuber. Ernst meint: „Wenn die besten Klimaforscher der Welt einen Konsens in der Beurteilung finden, hat das doch ein gewisses Gewicht.“

Warum dennoch nicht überall die Notwendigkeit erkannt wird zu handeln, beschreibt Ernst so: Die Kosten und der Nutzen sind ungleich über Personengruppen oder auch Staatengruppen verteilt. Wenn Ressourcen, wie Erdöl, genutzt werden, bringt das einen unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen. Den wirtschaftlichen Schaden durch das sich ändernde Klima hat aber eine andere, womöglich weit entfernte Region. Auf den ersten Blick ist es also günstiger, sich weiterhin klimaschädlich zu verhalten. Zumal dann nicht darüber diskutiert werden muss, ob der westliche Lebensstil nicht die Ressourcen der Erde dramatisch übernutzt – was noch dazu ungerecht gegenüber den Menschen in Entwicklungsländern ist.

Am vehementesten verweigern sich die USA unter ihrem Präsidenten George W. Bush dieser Diskussion. Und damit blockiert Bush erfolgreich jeden Fortschritt bei den Klimaverhandlungen, daran ändert auch seine jüngste Initiative nichts. Und wenn der größte Verursacher des Klimawandels nicht dazu bereit ist, für sein Handeln Verantwortung zu übernehmen, dann sehen aufstrebende Schwellenländer wie China oder Indien keinerlei Veranlassung, sich selbst anders zu verhalten.

Doch da der Klimawandel ein globales Problem ist, letztlich also alle treffen wird, sind die Entwicklungsländer zum ersten Mal in der strategisch günstigen Position, dass ihr Gerechtigkeitsargument nicht abgetan werden kann. Wenn bei einer Lösung für das Klimaproblem das Gerechtigkeitsgefälle nicht mit angegangen wird, werden sich die Entwicklungsländer einfach weigern, ihren Ausstoß an Treibhausgasen zu begrenzen. Dass sie die Ersten sein werden, die unter den Folgen zu leiden haben, ist zwar richtig. Aber das Gefühl, endlich einmal Macht über die Industriestaaten zu haben, die ohne sie das Klimaproblem nicht in den Griff bekommen werden, entschädigt womöglich für vieles.

Andreas Ernst sagt: „Es ist eine absolut vertrackte Situation.“ Zum ersten Mal stimmt die Diagnose, dass wir in einem globalen Dorf leben und alle voneinander abhängig sind, wirklich. Diese Überkomplexität der Verhandlungen macht es erst recht schwierig, im verbleibenden Handlungsfenster die Entscheidungen zu treffen, die nötig sind. Das wird nur möglich sein, wenn die Staatschefs ihre kurzfristigen Interessen beiseite legen und einen Blick auf das große Ganze werfen. Allerdings besteht die Gefahr, dass das große Ganze schlicht zu groß ist für die Köpfe der derzeit Herrschenden. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Menschheit, dass eine Generation eine Lösung für ein globales Problem finden muss, das Folgen für jeden Einzelnen haben kann. Dazu braucht es ein hohes Maß an intellektueller Redlichkeit, menschlicher Größe und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Es wäre ein Wunder, wenn wir ein solches Schauspiel schon beim Gipfel der sieben wichtigsten Industrienationen und Russland (G 8) in Heiligendamm erleben dürften.

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