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Essay: Nach der Ölpest: Mehr Wind

Vom amerikanischen Kongress ist trotz der Ölpest nicht mehr Klimaschutz zu erwarten. Die Energiewende in den Vereinigten Staaten kommt dennoch – von unten.

Seit dreieinhalb Wochen starrt die halbe Welt auf die USA in Erwartung einer Katastrophe, die das Land zum Umdenken zwingt. Mehrere hunderttausend Liter Rohöl schießen täglich aus einem Bohrloch am Boden des Golfs von Mexiko in 1500 Meter Tiefe. Die Explosion der Förderplattform „Deepwater Horizon“ hat es hinterlassen. Wie viel Öl genau, das weiß niemand. Und ebenso wenig, wann und wo die bedrohliche Materie anlanden wird. In Louisiana, in Mississippi, in Alabama oder in Florida? Vielleicht auch nie – jedenfalls nicht als existenzvernichtendes Mega-Ereignis, das zehntausende Seevögel und Meeresbewohner das Leben kostet, Tierkadaver an die Küsten spült, viele Kilometer Strände verseucht und unzähligen Menschen, die vom Meer und Tourismus leben, auf Jahre hinaus die Einkommensquelle raubt?

Solche Bilder schienen unausweichlich, als das Ausmaß des Unglücks bekannt wurde und BPs Rettungsversuche einer nach dem anderen scheiterten. Die Medien orientierten sich an den Folgen großer Tankerunglücke wie dem der „Exxon Valdez“ 1989 in Alaska oder der „Amoco Cadiz“ 1978 vor der Bretagne.

Wenn Millionen US-Bürger solche Szenen in den Fernsehnachrichten sehen, so die Erwartung, dann werde das die Bereitschaft zur Wende vom Öl zu erneuerbaren Energien beschleunigen. 2010 ist ein wichtiges Wahljahr. Da müssen die Volksvertreter verstärkt Rücksicht auf Stimmungen nehmen und Tatkraft beweisen. Doch diese Logik orientiert sich zu sehr an deutschen Gesetzmäßigkeiten. In der Bundesrepublik wurde die Energiewende „von oben“ durchgesetzt. Die Politik steuert das Konsumverhalten der Bürger durch höhere Steuern. Sie verordnet einen Ökoaufschlag. Die klassische Industrie murrt über Wettbewerbsnachteile durch die Energiekosten, versucht zu bremsen und richtet sich schließlich widerwillig mit der neuen Lage ein. Parallel werden hohe Subventionen zum Anschub erneuerbarer Energien ausgereicht. Die Bürger sehen es mit gemischten Gefühlen. Wer ist schon glücklich, wenn er drei bis vier Mal so viel wie ein Amerikaner für einen Liter Benzin zahlen muss und doppelt so viel für die Kilowattstunde Strom? Zum Trost dürfen sich die Deutschen moralisch überlegen fühlen.

Amerika reagiert anders. Und dieser Fall liegt anders. Eine Ölpest nach einem Offshore-Unglück rund 70 Kilometer vor der Küste, das lernt die staunende Welt gerade, verläuft offenbar nicht nach den Regeln einer Tankerhavarie in unmittelbarer Landnähe. Niemand kann sich zwar vorstellen, dass so ein schwerwiegendes Ereignis folgenlos bleibt. Bisher ist die angekündigte Katastrophe aber noch nicht sichtbar geworden. Und der Zeitaufschub begünstigt die Beharrungstendenz der US-Politik.

Auf paradoxe Weise beschleunigt die Ölpest nicht etwa die Verabschiedung eines neues Energiegesetzes im Kongress – sondern sie verzögert sie. Vor dem Unglück bestanden gute Aussichten, dass die Parlamentarier noch in diesem Jahr ein Gesetz zur Energiesicherung verabschieden würden. Es ist eine reduzierte Fassung des ursprünglich geplanten Klimaschutzgesetzes, für das Präsident Obama 2009 keine Mehrheit im Senat gefunden hatte. Die neue Version ist ein überparteilicher Entwurf, gemeinsam erarbeitet vom Demokraten John F. Kerry, dem Republikaner Lindsey Graham und dem Parteilosen Joe Lieberman. Ihre Kooperation erzwingt Kompromisse, verringert aber das Risiko einer Blockade im Senat.

Deutschland und die USA ziehen verschiedene Schlüsse aus der Ölpest

Doch nun fordern die Gegner der Neuorientierung, man müsse zunächst die genauen Ursachen des Unglücks untersuchen, bevor man über den neuen Entwurf beraten könne. Das Gesetz lege schließlich auch die Zukunft der Offshore-Ölförderung fest.

So zeigt die Ölpest erneut einen Grundunterschied zwischen den USA und Deutschland. In Amerika wird die Energiewende nicht „von oben“ kommen. Die politische Klasse in Washington und speziell der Kongress wirken vielmehr als hinderliche Beharrungskräfte.

Dabei ist die Energiewende längst im Gange. Wer sichtbare Belege sucht, darf freilich nicht auf Washington starren. Der Wandel vollzieht sich „von unten“, fern der Hauptstadt. Treibende Kräfte sind einzelne Bundesstaaten, die Wirtschaft und vielerorts die Bürger.

Zum Beispiel Massachusetts: Dort wurde gerade der erste Offshore-Windpark der USA eröffnet. Manche Anwohner protestierten anfangs, die Riesen mit den sich drehenden Armen verschandelten die berühmte Küste rund um Cape Cod. Nun jedoch fördert der Ölunfall im Golf von Mexiko die Akzeptanz. Immer mehr Amerikaner sind der Meinung, dass die ästhetische Erscheinung der Windräder das geringere Übel sei.

Zum Beispiel Denver, Colorado. 2004 war Colorado der erste Bundesstaat, der per Volksabstimmung einen Mindestanteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung vorschrieb, zunächst 10 Prozent ab 2015. 2007 erhöhte das Regionalparlament die Quote auf 30 Prozent ab 2020. Xcel, der Hauptstromanbieter, war 2004 noch dagegen, inzwischen unterstützt Xcel das Umdenken und investiert, wie Sprecher Tom Henley in einem Vorzeigehaus erläutert, in ein „smart grid“: ein interaktives Stromnetz, das in naher Zukunft Geräte automatisch zu der Tages- oder Nachtzeit einschalten kann, wenn der Strom am billigsten ist. Heute machen 30 der 50 Bundesstaaten Vorgaben für den Anteil erneuerbarer Energien am Strommix.

Der Gouverneur von Colorado, Bill Ritter, und der Bürgermeister von Denver, John Hickenlooper, möchten die Region zum Zentrum für Windenergie machen – genauer: wieder machen. Sie war schon mal der Nabel der Windenergie- und der Solarzellenforschung. 1978 ließ Präsident Jimmy Carter hier NREL gründen, das National Renewable Energy Laboratory. Auch damals hatten Ölschlagzeilen eine öffentliche Verunsicherung ausgelöst – den Ölpreisschock der 1970er Jahre.

Majestätisch erheben sich westlich der Stadt die bis zu 4400 Meter hohen Gipfel der Rocky Mountains in den Himmel. Sie sind der Grund, warum NREL hierherkam; und warum große Windenergiekonzerne aus Europa wie Siemens und Vestas Forschungslabors und Fertigungsstätten in der Gegend ansiedeln. Denvers Vororte Golden und Boulder liegen im „Windtunnel“, der sich von Kanada entlang der Bergkette über die Dakotas, Minnesota und Colorado bis Texas im Süden zieht. Der Jetstream macht die Region zum idealen Standort, um das Design der Rotorenblätter und die Technik weiterzuentwickeln und unter extremen Bedingungen zu testen. Der Düseneffekt des El Dorado Canyon, der sich wie eine Zahnlücke zwischen den Gipfeln ausnimmt, erzeugt Windgeschwindigkeiten von über 160 km/h.

Denver liegt zugleich südlich genug, um auch für die Solarindustrie attraktiv zu sein. Abound Solar produziert hier seit 2009 eine neue Generation besonders dünner Solarzellen; die deutsche Firma Wirsol Solar hat sich als Zulieferer angesiedelt.

Siemens-Manager Jan Kjaersgaard und Vestas-Kollege Kevin Cory nennen drei Gründe für die Großinvestition: das „Naturlabor“ mit sehr unterschiedlichen Wetterlagen im Verlauf des Jahres; die Forschungskooperation mit NREL; und den ständig wachsenden Markt für Windräder in den USA.

2004 ist Siemens in das Geschäft mit dem Wind eingestiegen, in Dänemark, das die Führungsposition in Europa hatte. Seither sind die Verkäufe jedes Jahr um 60 Prozent gewachsen. Derzeit hat Siemens unerledigte Bestellungen im Wert von sieben Milliarden Euro in den Auftragsbüchern stehen. Ein Ende des Booms sei nicht abzusehen, sagt Kjaersgaard. Er erwartet, dass der Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtmix weltweit von drei Prozent 2008 auf 17 Prozent 2030 steigt – und unter den Erneuerbaren der Anteil der Windenergie von 38 auf 52 Prozent.

Siemens gilt als weltweiter Marktführer für sogenannte Offshore-Windräder vor der Küste. Um die Leistung zu erhöhen, werden die Rotorenblätter immer länger – und so wird es zugleich immer wichtiger, das Gewicht und die technische Komplexität zu reduzieren, um den Aufwand für die Fundamente in Grenzen zu halten. 2009 wurde SWT-3.0-DD entwickelt. 101 Meter Rotorendurchmesser, drei Megawatt Leistung. Die Maschine kommt ohne Getriebe für die Kraftübertragung aus, was die Anzahl der Komponenten auf die Hälfte reduziert. 2010 wird bereits der Nachfolger SWT-3.6-120 erprobt: 120 Meter, 3,6 Megawatt Leistung.

Die Industrie leidet unter der wechselhaften Förderpolitik

Die Zögerlichkeit des US-Kongresses in Sachen Energiegesetz betrachtet der Siemens-Manager mit Unbehagen. Noch helfe das „Stimulus“-Paket, das die Regierung Obama im Februar 2009 als Konjunkturspritze gegen die Wirtschaftskrise beschlossen habe. Ein kleiner Teil der rund 800 Milliarden Dollar ist zur Förderung sauberer Energien bestimmt. Aber der Stimulus läuft 2011 aus. „Für die Zeit danach brauchen wir ein klares politisches Signal, dass erneuerbare Energien dauerhaft gewünscht sind.“ Europa mache langfristigere Vorgaben und habe so „den langfristigen Markt für Windkraft etabliert und Jobs gewonnen“. Die USA müssen da nachholen. Ihre wechselhafte Förderpolitik gilt als Ursache, dass Amerika die Führungsposition in der Windenergie, die es in den 80er Jahren innehatte, im neuen Jahrtausend an Dänemark und Deutschland verlor. „Für solche Investitionen braucht die Industrie eine langfristige Politik. Die gab es in Europa, nicht in den USA.“

Das heißt freilich nicht, dass die Jobs in Europa bleiben, weil es die Welt mit Exportwindrädern beliefern kann. In jüngster Zeit verlagerten Siemens, Vestas und ihre Konkurrenten Teile der Produktion in die strategischen Märkte der Zukunft, voran China und die USA. Das spart Transportkosten beim Aufbau der Anlagen und schützt vor Währungsrisiken. 2008 haben die USA Deutschland bei der Stromerzeugung aus Windkraft überholt und sich weltweit auf Platz 1 gesetzt.

Es fällt auf, wie sehr sich Tonlage und Begründung beim Gespräch über erneuerbare Energien in Denver und anderswo in den USA von Deutschland unterscheiden. Ob Politik- und Wirtschaftsvertreter oder Bürger: Die Sorge um Klima und Umwelt wird selten genannt. Stets dagegen das Ziel, als Vorreiter in einer Zukunftsindustrie Arbeitsplätze anzusiedeln.

„Wir sind keine Grünen“, betont Chris Shapard von der Colorado Cleantech Industry Association, „sondern eine Industrielobby für saubere Energie.“ Tom Clark von der Wirtschaftsförderung im Großraum Denver schwärmt von einer „New Energy Economy“, die den Einbruch durch die Wirtschaftskrise wettmache und binnen weniger Jahre 17 000 neue Jobs schaffe. 2006 hatte Siemens 60 Mitarbeiter in den USA, 2009 waren es 835. 2010 wird wohl die Zahl 1500 überschritten. Vestas hat 2000 Angestellte in Amerika, etwa ein Zehntel der weltweit Beschäftigten. 2011 werden es 4000 sein.

Daneben geht es um Gewinnaussichten. Der Vergleich legt nahe, dass Amerika für seine Energiewende weniger staatliche Subventionen austeilt als Deutschland und dass auch die Verbraucher weniger zur Kasse gebeten werden. Etwas über zehn US-Cent zahlen die Bürger in Colorado für eine Kilowattstunde aus erneuerbarer Energie – und dennoch machen Siemens, Vestas und Xcel gute Geschäfte. In Deutschland zahlt der Endverbraucher im Schnitt über 20 Euro-Cent pro Kilowattstunde; der staatlich garantierte Einspeisepreis für private Erzeuger von Solarstrom kann über 40 Euro-Cent betragen.

Präsident Obama ist mit dem erklärten Ziel angetreten, die USA zur Führungsmacht bei erneuerbaren Energien zu machen. Beim einen Teil seiner Strategie, nationale gesetzliche Vorgaben durch den Kongress, hat er bisher wenig Erfolg. Bobi Garrett und Casey Porto, zwei weibliche Führungskräfte bei NREL, nennen es „die Peitsche“. Dagegen zeige „das Zuckerbrot“ Wirkung, die vermehrten staatlichen Forschungsgelder und die Förderung der Investitionen in erneuerbare Energien.

Den Auftrag, Häuser und Autos zu entwickeln, die weniger Energie verbrauchen, hatten sie schon unter Bush, sagen sie. Obama mache mehr Druck, damit sich Forschungsergebnisse möglichst rasch im Wirtschaftsalltag niederschlagen. Sie haben keine grundsätzliche Präferenz, ob der Ansatz „von oben“ oder „von unten“ besser sei. Was in der Praxis hilft, ist willkommen. Hauptsache, die Energiewende gelingt.

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