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Meinung: Etzels Hof gehört nicht in unser Jahrtausend Die Öffentlichkeit erschrickt –

nicht nur vor den Bildern Von Sibylle Tönnies

Über die Tötung der HusseinSöhne ist die Weltöffentlichkeit noch still hinweggegangen. Die Tatsache aber, dass die Bilder ihrer verstümmelten Leichen zur Schau gestellt werden, erzeugt Unruhe. Denn die Rechtfertigung, dass die Iraker auf diese Weise eingeschüchtert werden sollen, kann nicht wirklich überzeugen. Es ist zu befürchten, dass der brutale Akt die Blutrache anregen wird, oder besser gesagt: das Talionsprinzip "Auge um Auge, Zahn um Zahn", das immer zur Eskalation führt.

Oderint dum metuant - mögen sie uns hassen, wenn sie uns nur fürchten - nach dieser Maxime wollen die USA im Irak Ruhe herstellen. Wollten sie Sicherheit und Ordnung durch blutige Abschreckung erreichen, so müssten sie ihre Mittel immer weiter steigern und letzten Endes Galgen auf die Marktplätze stellen. Damit würde sich der Kampf des Guten gegen das Böse endgültig unglaubwürdig machen.

Ließe sich die amerikanische Außenpolitik doch von dem Zyniker Machiavelli beraten. Er sagte: So etwas kann man nur sofort machen. Und nach seiner Ansicht muss man so etwas sofort machen (er rät zur schnellen Exekution einiger Großer). Aber nach einigen Tagen muss damit Schluss sein. Nach Machiavellis Beobachtung sind brutale Maßnahmen nur im unmittelbaren Anschluss an die Besetzung wirkungsvoll. Sowie sich im Lande wieder Vernetzungen gebildet haben, stößt die Brutalität des Eroberers das gefürchtete Ping-Pong der Gewalt an.

Die Unruhe, die das Vorzeigen der Leichenbilder jetzt verursacht, betrifft aber nicht nur die Eskalationsgefahr. Es handelt sich um eine kulturelle Beunruhigung. Die Menschheit steht erschreckt vor einem Atavismus. Das Zur-Schau-Stellen der Leichenbilder ist der Rückfall einer zivilisierten Nation in eine geschichtliche Frühphase, in der Köpfe aufgespießt wurden.

Die Menschheit erschauert vor sich selbst: So primitiv sind wir also noch, dass unsere fortgeschrittenste Kultur zu solchen Mitteln greift! Und die Bilder gehen um die Welt, und überall, in Iglus und Beduinenzelten, ist zu sehen: So primitiv ist die Sole Super, dass sie solche Mittel anwendet. Bewegt sie sich in Richtung Menschenfresserei?

Die Tötung der Kinder, vorzugsweise der Söhne des Feindes, vorzugsweise vor seinen Augen, gehört zu den bewährten Mitteln atavistischer Brutalität, wie man sie aus dem Macbeth und aus der Mythen- und Sagenwelt kennt. Das schwarz-blutige Ritual gilt von alters her als die wirksamste Bestrafung, die ein Herrscher einem anderen Herrscher zufügen kann. Ihn selbst zu töten ist vergleichsweise harmlos. Gegen seinen eigenen Tod kann sich der Mensch seelisch wappnen - gegen den seiner Kinder nicht. "He has no children!" sagt Macduff, dem Macbeth dieses Schicksal zugemutet hat, über einen, der ihn trösten will.

Atilla sicherte die Tributpflicht unterworfener Provinzen dadurch ab, dass er die Königskinder als Geiseln nahm. Notfalls wurden sie umgebracht. Aber wir leben nicht mehr in der Zeit des Hunnenkönigs. Non est nostri saeculi - was in der Villa in Irak geschehen ist, gehört an Etzels Hof, nicht aber in unser Jahrhundert und schon gar nicht in unser Jahrtausend.

Ein Gutes hatte die Zur-Schau-Stellung der Bilder allerdings: Die Weltöffentlichkeit, die über die Tötung selbst noch nicht angemessen erschreckt war, reagiert jetzt empfindlich. Im CNN wird die Frage diskutiert: Hätte man die beiden Herren nicht nach Den Haag bringen können? Wäre der erzieherische Effekt auf das irakische Volk nicht größer gewesen, wenn sie für ihre Gräuel hätten Rede und Antwort stehen müssen? Die Vorzüge des Internationalen Gerichtshofs stehen klarer denn je vor Augen. Mit seiner universalen Anerkennung wird die Menschheit einen Stand erreichen, der diesem Jahrtausend angemessen ist.

Unsere Autorin ist Juristin und unterrichtet an der Universität Potsdam

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