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Vor dem Euro-Gipfel in Brüssel, der am Donnerstag beginnt, hat Kanzlerin Merkel ihre Position deutliche gemacht.

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EU-Gipfel in Brüssel: Europa steht vor der Überlebensfrage

Bereits jetzt haftet Deutschland mit für die Schulden anderer europäischer Staaten. Angela Merkels vieldiskutierter Satz wäre also auch dann falsch gewesen, wenn sie nur "solange ich Kanzlerin bin" gesagt hätte. Für den Brüsseler Gipfel braucht sie nun Rationalität und Empathie.

Sein eigenes Schicksal mit Ereignissen zu verknüpfen, auf deren Eintreten oder Ausbleiben man nur bedingt Einfluss hat, ist leichtsinnig. Angela Merkels Äußerung, es werde in der Europäischen Union keine gesamtschuldnerische Haftung geben, solange sie lebe, fällt in diese Kategorie: Kausalzusammenhänge, die keine sind. Deshalb war es wohl ein Zeichen der Besinnung, dass sie diesen Satz am Mittwoch in ihrer Regierungserklärung nicht wiederholte.

Selbst wenn sie gesagt hätte, „solange ich Kanzlerin bin“, wäre das falsch gewesen. Bereits jetzt haftet die Bundesrepublik mit für die Verbindlichkeiten anderer europäischer Staaten. Wenn es zum Äußersten käme, dann kostete Deutschland sein Anteil am Finanzdebakel mehr als 300 Milliarden Euro. Und selbst dieser Zusammenbruch unserer Staatsfinanzen würde in seinen Auswirkungen auf die Volkswirtschaft von einem Auseinanderfallen der Gemeinschaftswährung noch weit übertroffen.

So betrachtet ist es eine Frage der Vernunft, dass die Kanzlerin ihre ganze Konzentration darauf richtet, die Gemeinschaftswährung zu erhalten, und sie nicht wie Politiker der zweiten Linie über den Ausstieg einzelner Länder aus dem Euro räsoniert. Gleichzeitig hat Merkel vor dem Bundestag ihr striktes Nein zu Euro-Bonds konditioniert. Nichts anderes ist es nämlich, wenn sie auch von den europäischen Institutionen, die jetzt eine Art Road Map zur Gesundung der europäischen Wirtschaft vorlegten, sehr deutlich ein Ja zur Gleichzeitigkeit von Kontrollen und Haftung verlangt.

Denn nur in dem Maß, in dem sich alle Länder der Euro-Zone einer strikteren Überwachung ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik durch europäische Institutionen unterwerfen, kann über Hilfen für die schwächelnden Partner nachgedacht werden, warnt Merkel. Die Kanzlerin möchte, wenn man ihr genau zuhört, dafür die Mittel aus der nun immerhin schon von neun Ländern unterstützten Finanztransaktionssteuer einsetzen. Damit ist die nötige Mehrheit in der 17 Staaten umfassenden Euro-Zone erreicht.

Eine Übertragung weiterer Kontroll- und Sanktionsrechte auf die europäische Ebene ist ohne eine Stärkung des Europäischen Parlaments unverantwortlich. Wie wollte man den Staaten der Union einen einschneidenden Verzicht auf Teile ihrer Souveränität zumuten, wenn diese nicht an eine ebenfalls demokratisch legitimierte und autorisierte Organisation abgetreten würden?

Um aus der Krise herauszufinden, brauchen wir mehr und nicht weniger Europa. Der innere Widerspruch der Europäischen Union besteht zur Zeit aber darin, dass in den krisengeschüttelten Ländern des Südens eher Kräfte der Renationalisierung Aufwind verspüren, so als seien Immobilien- und Bankkrisen, Haushaltsdefizite und überbordende Bürokratie vom fernen Brüssel angeordnet worden und nicht die Folgen hausgemachter Fehler.

Der mühsame Erziehungsprozess zu mehr Haushaltsdisziplin – der sich Frankreich und Deutschland ja auch nur zögerlich unterwerfen – wird im Süden Europas länger dauern. Dass Kanzlerin Merkel neben dem Wort Sparen inzwischen auch zunehmend Begriffe wie Krediterleichterungen und Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit verwendet, zeigt, dass sie die ganze Dimension des Geschehens zu verstehen beginnt. Nur mit dieser Doppelstrategie aus Rationalität und Empathie wird sie beim Brüsseler Gipfeltreffen die Fortschritte einfordern dürfen, ohne die nicht nur der Euro, sondern ein ganzes Freiheitsmodell scheitern könnte.

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