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Europa hat nicht viel mehr Gemeinsamkeit als das gemeinsame Geld, nicht die eine Sprache oder Kultur

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EU-Gipfel in Brüssel: Europas düstere Zukunft: Die ignorierte Wahrheit

Die Staats- und Regierungschefs der EU haben am Mittwoch in Brüssel alle möglichen Themen auf ihrer Tagesordnung - nur das wichtigste nicht: Die Arbeit am Nach-Krisen-Europa. Dazu sind die Regierungen in Berlin, Paris und Rom zu ermattet und abgelenkt.

Wenn es in diesen Tagen um den Euro geht, dann um kleinste Münze. Das hat auch etwas Gutes. Denn wenn über den Sinn oder Unsinn der Ein-Cent-Münze leidenschaftlich gestritten werden kann, scheint die einst ungeliebte Währung inzwischen tatsächlich für eine europäische Identität zu stehen und die Euro-Krise ihre Wucht verloren zu haben.

Nur: Europa hat nicht viel mehr Gemeinsamkeit als das gemeinsame Geld, nicht die eine Sprache oder Kultur. Und auf die Krise der Währung folgen absehbar noch grundlegendere Probleme. Die Europäische Zentralbank hat mit großen Versprechen und kleinen Zinsen Zeit gekauft, aber die Mitgliedsstaaten lassen sie ungenutzt verstreichen. Eigentlich müsste die Arbeit am Nach-Krisen-Europa längst auf höchsten Touren laufen, aber Berlin, Paris und Rom sind vom Kampf um den Euro und um Wählerstimmen ermattet oder abgelenkt.

Es geht nicht um den einen großen Wurf, der doch nie kommt, nie kommen kann. Aber es ist doch offensichtlich, dass eine Gemeinschaft, die von einem solch enormen wirtschaftlichen und sozialen Gefälle geprägt ist, keine gute Zukunft hat. Auf Englisch spricht man vom „elephant in the room“, wenn eine Wahrheit ignoriert wird, die sich eigentlich gar nicht übersehen lässt. Die Staats- und Regierungschefs der EU haben am Mittwoch in Brüssel alle möglichen Themen auf ihrer Tagesordnung, von hohen Strompreisen über Steuerflucht bis zur Bankenunion. Aber der Elefant ist nicht darunter.

Dabei ist all das wenig wert, wenn die Jugendlichen in Spanien und Griechenland ihre einzige Chance darin sehen, ihr Land zu verlassen. Für die deutsche Wirtschaft mag das eher Segen als Fluch sein, die jungen Südeuropäer helfen schließlich Deutschland, der Demografie ein Schnippchen zu schlagen. Es braucht keine Anwerbeprogramme in Anatolien und keine Green Card für indische IT-Spezialisten, die jungen Leute kommen ganz von selbst. Aber wie soll das auf Dauer funktionieren? Wenn die ohnehin von Rezession gebeutelten EU-Staaten im Süden auch noch ihre Hoffnungsträger verlieren, werden sie ihre Schulden nicht in den Griff bekommen – und auch als Absatzmärkte ausfallen.

Eie gemeinsame europäische Antwort muss her

Es wird eine gemeinsame europäische Antwort geben müssen, einen New Deal, einen Solidarpakt. Unternehmen sollten mit finanziellen Anreizen ermutigt werden, in den Krisenländern Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu schaffen. Auch verstärkte Investitionen der EU in die Infrastruktur, ob nun bei Strom- oder Datennetzen, bieten Chancen für neues Wachstum. Ganz sicher ist bei der deutschen Wiedervereinigung nicht alles richtig gelaufen, aber dank der gemeinsamen deutschen und auch europäischen Anstrengung ist aus der wirtschaftlich nicht lebensfähigen DDR eine zunehmend konkurrenzfähige Region geworden.

Europa soll kein Ort der Gleichmacherei sein, natürlich nicht. Regionale Wohlstandsunterschiede sind nicht grundsätzlich falsch, sondern im Gegenteil nützlich. Sie erwachsen aus einem freien Wettbewerb, sie gehören zur Marktwirtschaft dazu. Aber Chancen auf Teilhabe muss es auch in Spanien und Griechenland geben. Haushaltskonsolidierung wurde den überschuldeten Ländern zu Recht verordnet, aber eigentlich ist dort jetzt Hilfe zur Konsolidierung der gesamten Gesellschaft gefragt. Was die Euro-Krise nicht geschafft hat, droht sonst das allzu große Wohlstandsgefälle zu bewirken: dass Europa sich auseinanderdividieren lässt.

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