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EU-Gipfel: Sieg über die Krämer

Für die Europäische Union ist der Gipfel ein Erfolg – wenn auch mit Abstrichen.

Es war, wie es in Europa eben immer so ist. Die Italiener sollen einen zusätzlichen Sitz im Europaparlament bekommen, die Bulgaren können den Euro künftig so schreiben, wie sie lustig sind, und die Polen verließen den Lissabonner EU-Gipfel ebenfalls mit einem vermeintlichen Gewinn – in Gestalt einer Protokollnotiz. Europa, wie man es kennt: Da wird gefeilscht bis nach Mitternacht, damit der Wähler daheim bloß nicht auf die Idee kommt, die Politiker gingen leichtfertig mit nationalen Interessen um.

Auch wenn bei diesem Gipfel wieder viel nationales Krämertum zutage trat, so ist das Treffen von Lissabon dennoch ein Meilenstein für die EU auf dem Weg in die Zukunft. Seit sechs Jahren bastelt die Gemeinschaft an einer grundlegenden Neuordnung, die erst die Aufschrift „Verfassung“ trug und dann, als sie nicht die Zustimmung der Franzosen und Niederländer fand, in eine schlichte „Reform“ umbenannt wurde. Der Inhalt ist aber in etwa derselbe geblieben: eine schlankere Organisation der EU, mehr Demokratie und bessere Entscheidungsmechanismen. Und darauf verständigten sich die Staats- und Regierungschefs in der Nacht zum Freitag in Lissabon.

Der kleine Sieg, den Italiens Regierungschef Romano Prodi dabei beim Streit um die Sitze im Europaparlament feierte, fällt da nicht weiter ins Gewicht. Auch die „Ioannina-Klausel“, für die sich Polens Staatschef Lech Kaczynski bis zuletzt starkmachte, wird an der grundsätzlichen Richtung der Reform nichts ändern. In Zukunft soll es weniger Vetomöglichkeiten geben, was insbesondere europäischen Lösungen bei der Rechts- und Innenpolitik zugute kommen wird. Dennoch kann die EU die „Ioannina-Klausel“, die überstimmten Minderheiten ein vorübergehendes Blockaderecht sichert, nicht mehr ohne weiteres loswerden. Das ist die schlechte Nachricht von Lissabon.

„Ioannina“ ist eine bittere Pille – und nicht die einzige. Die Verfassungsfreunde in der EU mussten noch andere Veränderungen am Vertragswerk schlucken, damit die Reform überhaupt zustande kommt. So hat die EU-Grundrechtecharta, auf deren Bestimmungen sich die EU-Bürger vor nationalen und europäischen Gerichten berufen können, in Großbritannien und Polen keinen Bestand. Gleiches gilt für die Polizei- und Justizzusammenarbeit, aus der sich London bei Bedarf ausklinken kann.

Unterm Strich bleibt es aber ein gewaltiger Fortschritt, wenn sich die EU jetzt zu Veränderungen durchringt, die vor einem Jahr wohl die wenigsten für möglich gehalten hätten. Galt nicht die EU- Verfassung als tot? Dass sie nun im Gewand eines Reformvertrages ihre Wiedergeburt erlebt, ist nicht zuletzt das Verdienst der deutschen Kanzlerin. Angela Merkel ist es während der deutschen EU-Präsidentschaft gelungen, das Mandat für den Lissabonner Gipfel so vorzubereiten, dass dort nicht mehr allzu viel schiefgehen konnte. Die Gefahren lauern jetzt woanders: in den Nationalstaaten, wo das Vertragswerk demnächst ratifiziert werden muss.

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