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EU-Haushalt: Cameron punktet, Europa verliert

Mit der realen Kürzung des EU-Haushaltes wurde dem britischen Premier Cameron ein innenpolitischer Erfolg beschert. Doch der Preis für dieses Manöver ist hoch: Jetzt fehlt das Geld für europäischen Gestaltungswillen.

Ein Haushalt ist nichts anderes als in Zahlen gegossene Politik. Jede einzelne Ziffer darin steht für mal leise, mal laut ausgefochtene Interessenkonflikte. Das gilt für Brüssel und die Europäische Union, wo 27 mit Vetorecht ausgestattete Staats- und Regierungschefs am Tisch sitzen, in ganz besonderem Maße. Gewiss, auch in Berlin geraten Minister aneinander, und es geht um viel mehr Geld. Am Ende aber gibt es eine einende Koalitions- oder Parteiräson und nicht zuletzt die Richtlinienkompetenz von Kanzler oder Kanzlerin.

Wer das Gipfelergebnis betrachtet, kommt nicht umhin, zu konstatieren, dass Angela Merkel ihre Richtlinienkompetenz offenbar auf Europa ausgedehnt hat. Sie hat ihre Ziele voll erreicht: Der Etat 2014 bis 2020 sollte ein Prozent der Wirtschaftsleistung der Europäischen Union nicht übersteigen – es sind exakt 1,00 Prozent des Bruttonationaleinkommens geworden. Die ostdeutschen Länder bekommen mehr Geld, als ihnen wegen ihrer wirtschaftlichen Aufholjagd eigentlich zugestanden hätte. Und Merkel konnte gar noch die gewaltigen Kürzungen bei den Mitteln für den ländlichen Raum, die Bundesländer wie Baden-Württemberg im Vorfeld heftig kritisiert haben, ein wenig reduzieren.

Politisch bedeutsamer noch ist es, mit dieser ersten realen Kürzung eines EU-Haushalts in der Geschichte dem britischen Premierminister David Cameron einen innenpolitischen Erfolg beschert zu haben. Der für Deutschland so wichtige Verbleib Großbritanniens in der Gemeinschaft ist damit auch mit dem angekündigten Referendum wieder wahrscheinlicher geworden – schlicht deshalb, weil Cameron Merkel nun etwas schuldet.

Der Preis für dieses strategische Manöver ist hoch. Im Glaubenskrieg ums Geld ist die wirtschaftspolitische Vernunft unter die Räder gekommen. Die britische Extremposition, aus der heraus jeder zusätzliche Euro für Europa als Geldverschwendung gebrandmarkt wird, steht auf diese Weise geadelt da. Natürlich klingt es erst einmal logisch, dass auch die EU den Rotstift ansetzen muss, wenn die Mitgliedstaaten sparen. Es bleibt dennoch Unfug, weil das Gemeinschaftsbudget in weiten Teilen ganz anders funktioniert. Mit seinem Prinzip der Kofinanzierung löst es höhere Gesamtinvestitionen aus und kommt damit einem Konjunkturprogramm gleich. Diese Summe ist nun kleiner geworden. Damit ist das Versprechen der Staats- und Regierungschefs vom Sommer, einen Wachstumspakt auf die Beine zu stellen, kaum noch zu erfüllen. Wie soll die Rezession in Europa überwunden werden?

Gerade die Mittel, die europäischen Mehrwert hätten schaffen können, wurden immer weiter zusammengestrichen. Die Mittel für Forschung, grenzüberschreitende Stromtrassen, europäische Verkehrswege oder Breitbandverkabelung bleiben zwar geringfügig über den Ist-Werten, vom angekündigten Aufbruch in eine wissensbasierte, digitale und nachhaltige Zukunft ist aber nichts mehr zu spüren.

Auf der Habenseite bleiben neue Regeln, die zu einem sorgfältigeren Umgang mit den EU-Strukturfondsmitteln führen werden, sowie der neue Fonds zur Bekämpfung der beschämend hohen Jugendarbeitslosigkeit. Doch auch hier gilt: Wer eine verlorene Generation und politische Instabilität am Horizont sieht, muss mehr als sechs Milliarden Euro in die Hand nehmen. Die Internationale Arbeitsorganisation sieht einen Bedarf von 21 Milliarden Euro, um das Problem ernsthaft anzupacken.

Das Gipfelergebnis ist für das Europaparlament eine Provokation, sein Präsident, der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz, hat das bereits deutlich gemacht. Daran ändert auch wenig, dass der Etat künftig flexibler auf sich ändernde Gegebenheiten reagieren kann. Die Abgeordneten stehen nun vor einer schwierigen Wahl: Entweder lassen sie ihn zähneknirschend passieren, um Europa nicht in die nächste Vertrauenskrise zu stürzen – oder sie weisen mit einem Nein darauf hin, dass gesundes ökonomisches Mittelmaß und europäischer Gestaltungswille nicht britischer Innenpolitik geopfert werden sollten.

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