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Teilnehmer eines Sprachkurses an der Volkshochschule Leipzig.

© dpa

EuGH-Urteil zu Sprachtest: Erst war Berlin arrogant, jetzt ist Deutschland blamiert

Der deutsche Sprachtest für nachziehende Ehepartner ist gekippt - der EuGH bezieht sich dabei explizit auf die Niederlassungsfreiheit türkischer Staatsbürger. Deutlich wird: Berlin ging es gar nicht um das Verhindern von Zwangsehen, sondern um weniger Zuzug.

Die Bundesregierung hätte es lange ahnen können: Schon vor drei Jahren stellte die EU-Kommission in einem Gutachten fest, dass zwar die Pflicht zum Sprachtest mit EU-Recht vereinbar sei, nicht aber als Bedingung dafür, dass Menschen ein Familienleben führen dürfen. Es ging seinerzeit um den Fall einer Afghanin, deren Mann und Kinder schon in den Niederlanden lebten, die keinerlei Gefahr darstellte und finanziell versorgt war. Nur Niederländisch konnte sie nicht. Den Haag verstand den Wink aus Brüssel und zog den Zwang zum Sprachtest, vor der Einreise wohlgemerkt, zurück.

Berlin dagegen hat sich seither hartleibig gezeigt; nicht einmal eine Mahnung von Justizkommissarin Viviane Reding hatte Erfolg, die Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren ankündigte. Die Antwort des Bundesinnenministeriums: Es gebe ja kein Urteil. Staatssekretär Ole Schröder verstieg sich sogar zum arroganten Kommentar, es sei  „nicht die Aufgabe der Bundesregierung, sich fortlaufend zu einzelnen Rechtsauffassungen und abstrakten Rechtsfragen“ zu äußern. Selbst als das Bundesverwaltungsgericht vor einiger Zeit Bedenken bekam, reagierte die Regierung nicht.

Jetzt ist die Rechtsfrage so konkret geworden wie gewünscht und absehbar. Und Deutschland ist maximal blamiert. Das Urteil von Luxemburg dreht sich nämlich um etwas anderes, die Verletzung der sogenannten  Stillhalteklausel im Assoziierungsabkommen mit der Türkei von 1970, die Verschlechterungen der Niederlassungsmöglichkeiten von Türken in der EU verbot. Zwei Rechtsbrüche auf einmal also, die sich das mächtigste Land der EU da geleistet hat.

Berlin wollte nicht Zwangsehen verhindern, sondern weniger Zuzug

Sehenden Auges, darf man vermuten, wohl in der Erwartung: Bis Europa uns ein Urteil reindrückt, haben wir jedenfalls ein paar Familien entmutigt, ein paar Migrantinnen am Einwandern gehindert. Hier zeigt sich eine kalte Arroganz der Macht, die das ganze Land beunruhigen muss, nicht nur, was schlimm genug wäre, die Einwanderer. Offenbar nimmt die Regierung – dies wäre Verstoß Nummer drei - den oft beschworenen Schutz von Ehe und Familie, zu dem sie das Grundgesetz verpflichtet, so ernst dann doch nicht. Sie verletzt damit auch die Rechte der eigenen Staatsbürger, wenn die sich im falschen Teil der Welt verlieben.

Da es im Urteil um die Niederlassungsfreiheit ging, die für türkische Staatsbürger nicht weiter eingeschränkt werden durfte, blamiert es auch die hohle Rhetorik der sieben Jahre alten Vorschrift zum Sprachtest, Bingo, genau das war ihre Absicht: den Zuzug zu begrenzen. Und nicht die Verhinderung von Zwangsehen, wie heuchlerisch behauptet wurde. Wenn es darum wirklich gegangen wäre, hätte der Gesetzgeber den Sprachkurs nicht vor die deutschen Grenzen gelegt, sondern hier ermöglicht. Wer wollte schon ernsthaft behauptet, Deutsch ließe sich aus Kopfhörern in Anatolien besser lernen als in einem Sprachkurs in Berlin, Frankfurt oder Sindelfingen, mitten im Sprachbad, beim Einkauf, Arztbesuch – oder vielleicht am Arbeitsplatz? Es bleibt zu hoffen, dass Berlin wenigstens jetzt einlenkt und nicht auf ein zweites Urteil wartet, das dann auch allen übrigen Nicht-EU-Ausländern ihr Recht auf Ehe und Familie bestätigt.

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