zum Hauptinhalt

Euro, D-Mark und Taler: Staatsbankrott ist keine schöne Sache

Ein Staatsbankrott ist so toll nicht, aber auf jeden Fall ein Riesenerlebnis, findet Tagesspiegel-Kolumnist Harald Martenstein. Nach einer paar Wochen normalisieren sich die Dinge schließlich wieder.

Ein Staatsbankrott beginnt immer – immer! – damit, dass die Regierung erklärt, die Lage sei keineswegs besorgniserregend. Man habe alles im Griff, im Gegensatz zu gewissen Nachbarländern. Die Bundeskanzlerin sagt, die Spareinlagen der Sparer seien sicher, sie selber gebe ihr persönliches Ehrenwort. Kurz darauf schließen die Banken.

Die Bankangestellten montieren dicke Stahlplatten vor die Türen und Fenster der Bank, Telefone und Geldautomaten werden abgestellt. Die Leute sind natürlich stocksauer und rennen an ihre Computer, vielleicht geht noch Internetbanking. Im Internet sehen sie, dass ihre Konten in einer anderen Währung geführt werden als bisher. Die Regierung hat, über Nacht, neben dem Euro wieder die D-Mark eingeführt und noch dazu den Taler, irre, den Taler hatte keiner mehr auf der Rechnung. Ein Konto, auf dem gestern 955 Euro waren, meldet nun den Kontostand „drei Taler, vier Kreuzer“. Abheben kann man die Taler aber auch nicht. Das macht die Leute nun wirklich wütend, die Stimmung ist im Keller.

Die Bundeskanzlerin besteigt einen Hubschrauber und verlässt das Land, telefonisch lässt sie mitteilen, dass ihr das Ganze furchtbar leidtut. Das sei alles auch aus ihrer Sicht nicht optimal gelaufen.

Warum ein Staatsbankrott ein interessantes Erlebnis ist, erfahren Sie auf der nächsten Seite.

In den folgenden zehn Tagen gibt es fünf Bundeskanzler. Jede Partei kommt mal dran. Nach kurzem Check der Staatsfinanzen treten alle Kanzler sofort wieder zurück. Bankkonten werden abgeschafft. Es gibt sie nicht mehr. Wozu auch? Immerhin muss niemand mehr Steuern zahlen. Die Leute versuchen, mit Äxten und Schneidbrennern die Banken aufzubrechen. Sie schaffen es nicht. Irgendwann bekommen die Leute Hunger, auch Durst, sie plündern die Supermärkte. Wie heißt noch gleich das Sprichwort? Durst ist schlimmer als Heimweh. Das Plündern als solches geht einfach, die Polizei macht sogar mit. Endlich funktioniert mal was.

Es entwickeln sich Tauschbörsen, ein bisschen kompliziert, aber man hat Zeit. Eigentlich alle sind arbeitslos. Wer nichts zum Tauschen besitzt, muss fasten. Die Ärmeren versuchen, die Häuser der Wohlhabenderen anzugreifen, aber die haben sich in den Tauschbörsen Gewehre besorgt. Nach ein, zwei Wochen setzen internationale Hilfsprogramme ein, man muss einen Staatsbankrott also nicht dramatisieren. Zwei Wochen fast ohne Essen schaffen die meisten. Und ein paar Monate nach dem Bankrott stabilisiert sich die Lage. Der Staat ersetzt den Leuten nach ein paar Jahren sogar einen Teil ihrer verlorenen Ersparnisse, 25 Prozent. Das alles weiß ich, weil es 2001 in Argentinien in etwa genau so abgelaufen ist. Ein Staatsbankrott ist keine schöne Sache, aber auf jeden Fall ein interessantes Erlebnis, ein Abenteuer. Davon kann man den Enkeln erzählen!

Zur Startseite