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Wie viel Risiko ist genug? Die Bundesregierung hatte sich eine "rote Linie" gesetzt. Doch bei der bleibt es nicht. Das war vorher zu sehen.

© dpa

Euro-Rettungsschirm: Vergesst die roten Linien

Dass die Bundesregierung sich in ihren roten Linien verheddert, ist nur bedingt verwerflich und noch weniger verwunderlich.

Wer wollte den Deutschen garantieren, dass ihr gemeinschaftliches Risiko der Euro-Rettung 211 Milliarden Euro nicht überschreiten wird? Sollten es 212, 250 oder 400 Milliarden werden, kann Deutschland den Euro trotzdem nicht scheitern lassen. Das gilt für Angela Merkel, und es gälte für einen sozialdemokratischen Bundeskanzler. Der Euro gehört zur Staatsräson.

Die 211 ist eine politisch gezogene Grenze, keine ökonomisch plausibel begründbare. Als die Lehman-Bank im Herbst 2008 pleiteging, konnte niemand die Folgen beziffern – man wusste nur, es wird kritisch für den Finanzmarkt. Als im Jahr darauf eine Rezession die Weltwirtschaft erfasste, gab es niemanden, der die Folgen richtig einschätzte – es kam weniger schlimm als befürchtet. Und als wiederum ein Jahr später die Überschuldung einzelner Euro-Staaten das Vertrauen in die Gemeinschaftswährung erschütterte, waren die Lösungsansätze allesamt zu zaghaft – jedenfalls in der Rückschau.

Aber was wäre gewesen, wenn Angela Merkel damals in einer hellseherischen Regierungserklärung gefordert hätte, man solle eine Billion Euro für die Stabilisierung überschuldeter Euro-Staaten bereitstellen? Die Opposition hätte leichtes Spiel mit ihr gehabt, und vielleicht wären Merkel und der Euro längst Geschichte. Hätte, wäre: Der Konjunktiv bestimmt die Politik gegen die Krise; das Ungefähre, Tastende. Schon kurz nach der Lehman-Pleite haben Merkel und Peer Steinbrück, der damalige Finanzminister von der SPD, erklärt, sie steuerten auf Sicht. Die Taktik ist geblieben, weil der Nebel sich noch immer nicht verziehen will.

Doch die Forderung, dann sollten die Regierenden wenigstens ihre Unsicherheit eingestehen, geht an der Realität vorbei. „Ich weiß nicht, wie groß das Problem ist, ich habe keine Ahnung, wie und ob man es in den Griff kriegen kann, aber bitte, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, geben Sie mir Ihre Stimme!“ – so eine Wahlkampfrede führt ins Aus.

Es gilt, aus einer historisch einmaligen Situation das Beste zu machen. 1989/90 wurde erbittert diskutiert, ob die deutsch-deutsche Währungsunion ökonomisch richtig sei. Heute ist klar: Politisch war sie unbedingt geboten. Und so wie Helmut Kohl damals sucht Angela Merkel heute einen Weg. Anders als vielleicht bei der Atomkraft, bei der sie eine jahrelang vehement vertretene Überzeugung plötzlich fallen ließ, sind die häufigen Korrekturen ihrer Euro-Politik kein Beleg für ihren Opportunismus, sondern für die Grenzen des Systems, in dem sie agiert. Das Gebilde aus 17 Euro-Staaten und zehn weiteren EU-Staaten, zu dem auch das Parlament, die Kommission und die Zentralbank gehören, lässt sich nicht mit harter Hand aus Berlin steuern.

All die Trippelschritte, das Vor und Zurück, Hin und Her waren nicht schön, aber unter diesen Umständen hätte es kaum besser laufen können. Die Inflation ist gering, die deutsche Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit bleibt niedrig, Millionen von Arbeitnehmern können in diesem Jahr mit steigenden Einkommen rechnen. Bedenkt man, wie es hätte kommen können, dann ist die Krise an Deutschland nahezu spurlos vorübergegangen. Wahr ist auch: Sie ist nicht vorbei, noch lange nicht. Ob Griechenland und Spanien es schaffen, ob finanzielle Solidität sich in der EU durchsetzt, wird sich in Jahren oder Jahrzehnten zeigen. An die roten Linien dieser Tage wird sich dann niemand mehr erinnern, so oder so.

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