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Kopflos in Athen? Die Euro-Krise ist wieder akut.

© dapd

Euro und Griechenland: Was Europa wert ist

Die Absicht, Griechenland zu helfen, koste es, was es wolle, lebt von einer großen politischen Idee, aber sie macht auch ökonomisch Sinn. Die 27 Staaten der EU wären heute die größte Volkswirtschaft der Welt, wenn sie geschlossen aufträten.

Die Welt der Echtzeit ist ein Fluch. Zwischen einem Ereignis und der Reaktion der Börsen bleibt zuweilen nicht genug Zeit für einen Atemzug, geschweige denn für einen klugen Gedanken. Der Druck der Finanzmärkte ist unerbittlich, erst recht, wenn man sich uneinig ist und Schwäche zeigt, wie die neuerliche Abwertung der griechischen Bonität zeigt. Natürlich wollen die Mächtigen der Welt auch deswegen vieles geheim halten, wenigstens erstmal. Wie will man die richtigen Entscheidungen treffen, wenn man keinen Diskurs führen kann? Aus diesem Bedürfnis heraus wurde 1975 der Vorläufer der G 20 geboren: auf Einladung von Giscard d’Estaing als Kamingespräch auf Schloss Rambouillet.

Doch fällt das nächtliche Treffen im Château de Senningen in Luxemburg leider nicht in diese Kategorie – weil es nicht geheim blieb. Schlimmer noch: Es wurde von Lügen flankiert, die binnen Stunden offensichtlich wurden. Wenn der einladende Premier Jean-Claude Juncker bestreitet, dass es überhaupt ein Treffen gibt, wenn die französische Finanzministerin behauptet, der Termin sei frei erfunden, dann muss man sich nicht wundern, dass man der ganzen Mischpoke gar nichts mehr glaubt.

Ist also über Griechenlands Austritt aus der Euro-Zone beraten worden? Das wird allerorten dementiert so wie zuvor der Termin selbst. Die Vermutung liegt nahe, dass auch dieses Dementi eine Lüge ist und eine plumpe dazu. Eine Vorlage des Bundesfinanzministeriums, die dieses Szenario schildert (und als gefährlich verwirft), geriet an die Öffentlichkeit, während die Teilnehmer des Treffens anreisten. Wie will man da keinen inneren Zusammenhang vermuten? Die Zahl der Beteiligten ist zu groß, als dass man etwas geheim halten könnte. Es gibt 17 Euro-Staaten; selbst wenn nicht alle in Luxemburg vertreten waren, selbst wenn jedes teilnehmende Land nur zwei Vertreter schickte, so waren doch mehr als zwei Dutzend Menschen zusammen, die jeder für sich eine eigene Agenda haben.

Doch die gemeinsame Agenda für Europa fehlt. So konnte es nebenbei vergangene Woche passieren, dass der Schengen-Vertrag aufgeweicht wurde und plötzlich wieder feste Kontrollen an den Binnengrenzen möglich sind. Ausgekaspert haben das Nicolas Sarkozy und Silvio Berlusconi. Die Reisefreiheit als historische Errungenschaft war ihnen nichts wert. Wenn Europa solche Freunde hat, braucht es wirklich keine Feinde mehr. Wer heute nach Mallorca fliegt, muss keinen Pass und keine Peseten mitnehmen – wie bahnbrechend das ist, wird vielleicht erst klar, wenn es wieder anders ist.

Helmut Schmidt, einer der Urheber des Treffens auf Schloss Rambouillet, hat gerade darauf hingewiesen, dass nicht der Euro in der Krise ist, sondern die EU insgesamt, weil sie nicht handlungsfähig ist. Genau so ist es. Das Fatale an dem Treffen in Luxemburg ist nicht, dass es stattfand, sondern dass wieder einmal Unsicherheit über Europas Kurs gestiftet wurde. Seit einem Jahr wird über die Notlage Griechenlands schon verhandelt, aber Klarheit herrscht immer noch nicht.

Wer wäre bereit, sein Vermögen darauf zu verwetten, dass es den Euro in drei Jahren noch gibt? – Eben! Selbst wenn nur Griechenland, wirtschaftlich unbedeutendes Land an der Peripherie, zur nationalen Währung zurückkehrte, wäre der Euro tot. Denn dann wäre der Beweis erbracht, dass die Gemeinschaftswährung keine ist – weil es keine Gemeinschaft gibt. Die Finanzjongleure würden versuchen, ein Land nach dem anderen abzuschießen und Milliarden zu verdienen.

Die Absicht, Griechenland zu helfen, koste es, was es wolle, lebt von einer großen politischen Idee, aber sie macht auch ökonomisch Sinn. Die 27 Staaten der EU wären heute die größte Volkswirtschaft der Welt, wenn sie geschlossen aufträten. Und die Rolle Deutschlands darin definierte sich durch die wirtschaftliche Potenz des Landes von selbst. Die neuen Rekordzahlen zeigen es: Allein im März wurden deutsche Waren im Wert von annähernd 100 Milliarden Euro ausgeführt, 60 Prozent in die anderen EU-Staaten. Ohne die Nachfrage der Nachbarn bleibt von der Wirtschaftskraft der Deutschen nicht viel übrig – und ohne Griechenland nicht viel von Europa.

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