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Euro-Urteil: Wer zweifelt ist noch lange kein Störenfried

In schwierigen Zeiten wächst das Bedürfnis der Menschen nach Führer- und Gefolgschaft. Umso wichtiger sind die Stimmen der Zweifler. Im Fall der Griechenlandhilfen hat das Bundesverfassungsgericht dafür gesorgt, dass sie gehört werden.

Sorry, könnten sie sagen, es war ja nur so eine Idee. Jetzt stehen sie da, die SPD-Abgeordneten Peter Danckert und Swen Schulz und staunen wohl selbst, wie weit es mit ihrem Projekt gekommen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat eine zweite wichtige Entscheidung in der Bewältigung der Euro-Krise getroffen, die erneut den Status der Parlamentarier stärkt. Es war, wie schon zuvor in Fragen der Griechenlandhilfe und des ersten Euro-Rettungsschirms, kein zwingendes Urteil; aber die Richter ergriffen die Gelegenheit, am Rand des Weges ins integrierte Europa ein paar neue Leitplanken zu ziehen. Ihre Botschaft ist deutlich: Europa, auch ein Europa in fiskalischen Nöten, braucht mehr als Weisheit und Entschlusskraft der Regierenden, es braucht die politische Diskussion und den Zweifel, den nur Parlamente in ihrer ganzen Vielfalt bieten können.

An sich wäre das eine Selbstverständlichkeit. Dass sie in Karlsruhe angemahnt werden musste, ist den hektischen Umständen geschuldet und dem wohl irgendwie menschlichen Glauben, schwierige Zeiten in der Konstellation aus Führer- und Gefolgschaft am besten bewältigen zu können. Doch so liegen die Dinge nicht. Man kann es Angela Merkel ankreiden, dass ihre bemühten Flügelschläge für Europa die Deutschen nicht viel näher an die Griechen heranbringen werden. Gleichwohl war sie ehrlich, sie präsentiert sich als die Suchende, die sie ist, nicht wissend, ob sie ihrem skeptischen Minister Friedrich für einen Vorstoß heimlich zu danken hat oder der sich der Fahnenflucht schuldig machte.

In solchen Situationen erscheint es angeraten, jene entscheiden zu lassen, die dafür zuständig sind. In einer Demokratie ist das der Souverän, das Volk, vertreten durch sein Parlament. Mit seinem Urteil bringt die Dritte Gewalt die Erste wieder zurück ins Spiel. Die Milliardensummen der Euro-Töpfe sollen keine Verfügungsmasse der Exekutive sein. Das waren sie jedoch, jedenfalls im Fall des Rettungsfonds EFSF. Die formalen Beteiligungsrechte des Bundestags konnten kaum kaschieren, dass hier die Regierung das Sagen hatte. Das Sondergremium sollte ihr Erfüllungsgehilfe sein, kein Widerpart, kein Kontrollorgan. Jetzt ist der Bundestag in der Pflicht, seine Mitsprache angemessen neu zu regeln. Er kann den Haushaltsausschuss sich weiter bewähren lassen, das alte Sondergremium erweitern oder ein neues bilden. Am besten, er nimmt möglichst oft das Plenum.

Zugleich haben die Richter kein politikblindes Urteil gesprochen. Niemand wollte damals in Karlsruhe ernsthaft Wolfgang Schäuble entgegentreten, als der den Druck schilderte, unter dem der Ankauf von Staatsanleihen auf den Finanzmärkten organisiert werden muss. Jeder Mitwisser mag hier einer zu viel sein, einer, der die Pleite einer Nation riskieren kann. Entsprechend folgten ihm die Richter und gestanden ihm zu, sich dann an das Mini-Gremium wenden zu dürfen.

Vertrauen heißt die derzeit wichtigste Währung in Europa. Die Euro-Retter, das hat sich gezeigt, können dem Bundesverfassungsgericht vertrauen. Es weiß zwar auch nicht, was die richtige Politik ist, aber es bekräftigt die Prinzipien, nach denen sie gefunden werden muss. Eine Institution, die den Satz des Grundgesetzes, nach dem Abgeordnete Vertreter des ganzen (!) Volkes sind, mit Leben füllt, kann kein Gegner von Politikern sein; und jene unter ihnen, die Zweifel haben und Bedenken äußern, sind keine Störenfriede. Daran hat die provokative Klage der Abgeordneten Danckert und Schulz erinnert. Ihre Idee war gut. Sie wird bleiben.

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